don camillo und seine spelunke von RALF SOTSCHECK
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Es war spät, und wir waren hungrig, als wir im Hotel in Pisa ankamen. „Das wird schwierig“, meinte der Hotelangestellte, „aber bei Camillo bekommt ihr vielleicht noch etwas. Ich kenne ihn, grüßt ihn von mir, und er wird euch nicht wegschicken. Aber avanti!“ Erste Straße links, dann das zweite Restaurant auf der rechten Seite, lautete die eindeutige Wegbeschreibung.

Die Gaststätte sah nicht sonderlich Vertrauen erweckend aus. Es war eher eine Art Imbissstube mit ein paar Resopaltischen. „Es gibt nur Pizza“, sagte der Wirt zur Begrüßung. Warum nicht? Schließlich waren wir in Italien. Ob er Camillo sei, fragte ich den Wirt, und er nickte stumm. Ich solle ihn von seinem Freund an der Hotelrezeption grüßen, meinte ich und wunderte mich nicht über seinen erstaunten Blick.

Am Nachbartisch saß ein Tonio vor einer halb vollen Dreiliterflasche Rotwein, ihm gegenüber sein Freund Marco, der seine Flasche offenbar schon leer getrunken hatte und bemüht war, nicht vom Stuhl zu rutschen. War das eine Inszenierung für Touristen, um die Klischees vom stets Rotwein trinkenden Italiener zu bestätigen? Andererseits kann man in Irland jederzeit in einen Pub gehen und glasigaugige Männer vor schwarzem Bier finden, ohne dass es inszeniert werden müsste. In den meisten Klischees steckt eben ein Körnchen Wahrheit.

Die Pizza war tadellos, und die Halbliterkaraffe Chianti – ich hatte in Anbetracht des Nachbartischs vorsichtshalber einen kleinen Wein bestellt – war es auch. Dann kamen weitere Gäste: drei Irinnen, die offenbar mit demselben Flugzeug aus Dublin gekommen waren. Camillo fing sofort an, ihnen Komplimente zu machen. Ah, diese Italiener.

Schließlich gab er ihnen einen Sambuca aus. Ob wir auch einen wollten, fragte er. Ich hätte lieber einen Grappa, sagte ich. Es gab aber nur Sambuca. Nach dem zweiten Schnaps schaute Camillo mich listig an und fragte: „Du willst Grappa?“ Dann verschwand er aus dem Laden, ging zu seinem Auto und kam mit einer Flasche Grappa zurück. „Die hat meine Exfreundin vor vier Monaten im Auto liegen lassen“, sagte er. „Jetzt ist die Trauerzeit vorbei.“ Mit diesen Worten zog er die Metalljalousie vor der Eingangstür herunter. Es wurde eine lange Nacht.

Der Hotelangestellte vergrub bei unserer Rückkehr die Hände im Gesicht und stöhnte: „Ich sehe es euch an: Ihr seid bei Francesco gewesen, der übelsten Spelunke Pisas. Als ich sagte, ihr sollt das zweite Restaurant auf der rechten Seite nehmen, ahnte ich nicht, dass ihr diesen Laden mitzählen würdet. Gelten Schnellimbisse in Irland als Restaurants?“

Aber der Wirt habe doch bestätigt, dass er Camillo sei und sich über die Grüße gefreut. „Ihr habt Francesco von mir gegrüßt?“, fragte der Rezeptionist entsetzt. „Wollt ihr meinen Ruf ruinieren? Hättet ihr nach dem Papst gefragt, hätte Francesco auch genickt. Schließlich will er seine Pizza verkaufen.“ Die sei aber ausgezeichnet gewesen, sagte ich. Das liege am Grappa des Vergessens, entgegnete er. „Den Grappa flößt Francesco jedem fremden Gast ein, damit er sich später an nichts mehr erinnert, schon gar nicht an die Rechnung. Es war die Flasche seiner Exfreundin, stimmt’s?“