Endspiel in Berlin: Warten auf das Tor

Am Sonntag zur Nacht wird die Fußballweltmeisterschaft 2014 Geschichte sein. Möglicherweise geht es aber zumindest auf der Fanmeile noch mal in die Verlängerung.

Davon schwärmen Spieler und Trainer noch heute: Empfang auf der Fanmeile 2006. Bild: dpa

Den drei Dopedealern im Görlitzer Park ist es völlig gleich, wer am Sonntag die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien gewinnt. Würde es für das Geschäft nicht vielleicht etwas bringen, wenn Deutschland verlieren würde, weil sich der enttäusche Schlandfan dann wenigstens den Schmerz wegkiffen wollen würde? Nein, sind sich alle drei sicher. Ob Deutschland gewinnt oder verliert, sei völlig egal, die Fußballfans würden vor, während und nach den Spielen Alkohol trinken, Marihuana spiele da einfach keine Rolle. Sie, so sagen sie, seien deswegen froh, wenn die WM nach dem Sonntag endlich vorbei ist.

Etwas mehr gespannte Erwartung lässt sich da schon bei Anja Marx finden, der Pressesprecherin der Berliner Fanmeile. Im Vergleich zu den letzten beiden Fußball-WMs war in diesem Jahr zumindest während der Gruppenphase dort weniger los als in den früheren Jahren. Was aber vielleicht auch am Wetter lag. Doch jetzt, nach dem 7:1, könnte es doch noch rekordverdächtig auf der Fanmeile zugehen. Anja Marx ist sich sicher: „Es wird voll werden und ein schönes großes Fußballfest.“ Und wenn alles gut wird, woran ja eh niemand mehr zweifelt, und Messi am Sonntagabend weint wie jüngst David Luiz, wird auf der Fanmeile, so gab der DFB jetzt bekannt, am 15. Juli die ganz große Party zum Sieg der Weltmeisterschaft stattfinden.

Und dann? Wird das Hochhalten des hässlichen WM-Pokals in Berlin alle Probleme der Stadt vergessen machen? Wird dann endlich wirklich alles gut, und wird sich sogar niemand mehr darüber aufregen, wenn versprochene Flughäfen erst Jahre später oder vielleicht gar nie eröffnet werden?

Sven Ismer, Sportsoziologe an der Freien Universität, der bereits wissenschaftlich über die WM 2010 geforscht hat, sagt, er glaube nicht, dass so ein WM-Titel samt Fanmeilenrausch und Feier der deutschen Mannschaft in der Nähe des Brandenburger Tors längerfristig etwas für Berlin bedeuten würde. Er weist auf das Identifikationspotenzial für das migrantische Milieu dank Spieler wie Mesut Özil oder Sami Khedira hin, was natürlich positiv sei. Gibt aber zu bedenken, dass der Sieg der ebenfalls stark migrantisch geprägten französischen Nationalmannschaft bei der WM 1998 die französische Gesellschaft auch nicht dauerhaft verändert habe.

Sven Ismer rechnet im Falle eines Siegs der deutschen Mannschaft am Sonntag mit dem Erwartbaren, mit „sehr großer Begeisterung, unfassbar lauten Böllern, Hupen, Fahnenschwenken“. Was er alles okay finde. Er befürchtet allerdings eine Zunahme dieser verstärkt zur Schau gestellten moralischen Überlegenheit, die bereits jetzt als deutsche Kollektiveigenschaft medial vermittelt werde, besonders nach dem Spiel gegen Brasilien, bei dem sich die deutschen Spieler so betont vorbildlich gegenüber den Verlierern verhalten hätten. Der deutschen Demut jedenfalls, von der jetzt überall die Rede ist, das hört man bei ihm heraus, traut er kein Stück.

Noch weit skeptischer als Sven Ismer sind da Tanja Pippi und Angy Lord von der Berliner Rockband Jolly Goods. Beide sind zugegebenermaßen nicht die größten Fußballfans, aber ihre Gedanken zum Endspiel machen auch sie sich. Angy Lord meint, so eine Fußball-WM werde in seiner Bedeutung sowieso viel zu hoch gehängt. Ein Bleiberecht für alle werde nach so einem Finalsieg ja wohl auch nicht herausspringen, also werde sie das Spiel am Sonntag so ignorieren wie bereits sämtliche Spiele davor. Und Tanja Pippi, die mit dem Schlandüberschwang so gar nichts anfangen kann, rät: „Am Sonntag am besten zu Hause bleiben. Und hoffen, dass Deutschland nicht gewinnt.“

Das hofft übrigens auch der Brasilianer bei mir im Haus, obwohl einem ja jetzt alle erzählen, sämtliche Brasilianer seien nun auf der Seite Deutschlands, weil Argentinien der Erzfeind sei. Man wird von dem Brasilianer zwar mit Handschlag für den Sieg der deutschen Mannschaft gegen die Seleção beglückwünscht, er aber, so fügt er gleich hinzu, sei jetzt für Argentinien, damit der WM-Titel wenigstens nach Südamerika gehe. Er ist also gegen Deutschland, obwohl er schon so lange unter Deutschen lebt? Das sagt er, sei vielmehr sogar ein weiterer Grund, warum er gegen Deutschland sei.

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