Kann denn Hitler Sünde sein?

EN GARDE Die ARD zeigt das „Duell“ der Diven Zarah Leander und Marlene Dietrich (23.30 Uhr)

Die Dietrich war nicht nur Luxusbraut, sie sang schon 1944 kurz hinter der Front

Das ist kein schlechter Einfall, zwei Frauen, zwei sogenannte Diven, zwei öffentliche Figuren, gegeneinander zu stellen, um sich ihre zeitparallelen Lebenswege anzuschauen: Das „Duell“, die Überschrift, unter die die ARD diese Dokumentation stellt, zwischen Marlene Dietrich und Zarah Leander ist ja nicht nur als eines zu verstehen, das im Ästhetischen liegen könnte. Etwa, um formulatorische Klischees über beide anklingen zu lassen: hier die preußische Offizierstochter, die in Hollywood reüssieren könnte; dort die schwedische Schauspielerin, die mit „Kann denn Liebe Sünde sein“ im „tausendjährigen Reich“ Karriere machte.

Filmautor Michael Wech erzählt in etwa diese Story: Die Dietrich war kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme davor, ein Megastar zu werden, und tat sich, mit den ersten Meriten der deutschen Filmindustrie versehen, auch in Hollywood um. Von dieser Jobsuche in den USA kehrte sie nie mehr in ihre alte Heimat zurück – erst Anfang der sechziger Jahre.

Aber damals kam sie nur zu einer Konzertreise nach Berlin und Baden-Baden zurück – und wurde am Tempelhofer Flughafen von empörten DemonstrantInnen empfangen, sie als Vaterlandsverräterin und anderes in diesem Sinne beschimpfend. Eindrucksvoll, dass dieser Film auch mit Bildern aufwartet, die die Dietrich nicht als Luxusgesangsbraut zeigen, die die Truppen nur besucht, um einen Karrierevorteil zu erlangen. Nein, die Dietrich war sogar in Aachen hinter der Kampflinie, um das erste Stück Deutschland schon 1944 zu befreien.

Die Leander, in Skandinavien Ende der Zwanziger eine fette Bühnennummer, wollte in aller Welt Karriere machen, also auch in Deutschland. Als dort sehr viele Jobs frei wurden, weil Juden und/oder Freigeister just vertrieben oder exiliert waren, schlug die Stunde der Schwedin, die in den Fünfzigern „Bassamsel“ geheißen wurde, ihrer dunklen, fast transenhaften Stimme wegen. Und ja, die Leander trat in die Fußstapfen solcher Star, wie die Dietrich in Deutschland war – sie waren ihr vielleicht ein wenig zu klein, aber wen scherte das?

Als die Leander nach dem Krieg in der Bundesrepublik nahtlos an das anknüpfen wollte, was ihr Starsein war, wurde sie zurückgewiesen: Die Braunen und ihre Truppen waren offiziell nicht mehr gelitten, das Gnädige kam ihr erst in den späten Fünfzigern wieder zugute. Die Dietrich aber mochte die Bundesrepublik nie, im Film heißt es, sie sei ihr zu miefig, provinziell vorgekommen. Und zog sich, ihrem Blick auf ihre alte Heimat zu Recht vertrauend, nach Paris zurück. Die Leander hingegen gab sich in Interviews bar aller Reue.

Nein, sie bereue nichts, sie sei gerne nach Deutschland gekommen, sie habe sich für Politik nie interessiert, sie war Angestellte der Ufa und Goebbels ihr Chef, musste diesem also folgen. Und das Propagandalied der Nazis, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, das deutete die Leander um: Ja, sie habe gehofft, dass der Text die Oberen aufklären werde? Man erkennt an der Vita der Schwedin: Den einen war sie eine Heldin, den anderen heuchelndes Charakterluder. Warum in dieser Doku, bedenkend die Gründe, die die Dietrich bewogen, sich dem Kampf gegen Nazideutschland anzuschließen, angeführt wird, sie sei preußische Offizierstochter gewesen – man weiß es nicht. Vielleicht focht diese „Zeugin der Anklage“ (Nachkriegsfilm mit ihr) einfach nur für ihr Land, weil sie die Nazis nicht ausstehen konnte, weil sie ihre jüdischen Freunde nicht verraten wollte und so weiter? Weil sie einfach, nun ja, einen demokratisch-libertären Charakter hatte?

Eine gute Gelegenheit, dieser Film, an die ästhetischen Dispute der fünfziger und sechziger Jahre erinnert zu werden.

JAN FEDDERSEN