Kampf gegen Leidenschaftslosigkeit: Rettet das Hobby!

Wir sollten uns mehr Zeit nehmen, um mehr Dinge um ihrer selbst willen zu tun. Doch das Leistungsdenken kennt oft keinen Feierabend.

Nicht mehr nur Omas Hobby: Häkeln. Bild: dpa

Neulich bei Facebook: „Braut ihr noch Bier oder züchtet ihr schon Bienen?“, schrieb eine Freundin, offenbar inspiriert von in ihrem Umfeld gepflegten Passionen. In dieser Verballhornung eines Ikea-Werbespruchs schwang eine ironische Distanzierung mit, wenn nicht gar Spott: Ihr macht Sachen, Leute!

Und dann fand sich unter dem Eintrag neben anderen noch der folgende Kommentar: „Hobbys, die Leidenschaft der Leidenschaftslosen.“ So ein Mist, dachte ich – und erwiderte: „Leidenschaft der Leidenschaftslosen? Kann man leidenschaftsloser sein als ohne Hobby?“ Aus der Diskussion, die ich damit vom Zaun brechen wollte, wurde leider nichts. Keinerlei Reaktion. Dabei hätte ich noch so viel zu sagen gehabt.

Dann muss das jetzt eben hier raus.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der „Hobby“ beinahe schon ein Schimpfwort ist. Der Selbstzweck hat es schwer in unserer heutigen, durchoptimierten Zeit. Nehmen wir den Hobbykoch, an dem sich sehr schön ablesen lässt, dass unser Leistungsdenken keinen Feierabend kennt: Er wird belächelt, weil Kochen für ihn „ja nur ein Hobby“ ist, gewollt und bis zum Gegenbeweis nicht gekonnt, ein Stümper mit Leidenschaft, aber ohne Talent. Sonst hätte er sein Hobby wohl längst zum Beruf gemacht. Ich halte diese Hobbyfeindlichkeit für fatal. Und wenn Journalisten etwas für fatal halten, kämpfen sie dagegen mit der schärfsten ihnen zur Verfügung stehenden Waffe an: Sie schreiben ein Buch.

David Denk: „Der Hobbyist. Auf der Suche nach der verlorenen Freizeit“. DuMont Köln, 222 Seiten, 9,99 Euro

Kurzurlaub im Gemüsebeet

In der taz stand kürzlich ein Satz, der mir zu denken gegeben hat. Er lautete: „Der Journalismus ist – neben den Unternehmensberatern – vielleicht die einzige Zunft, in der Selbstausbeutung für viele noch das Ideal ist.“ Ich fühlte mich regelrecht ertappt. Denn ich bin auch einer von denen, die sich im Job so verausgaben, dass sie nach Feierabend höchstens noch in der Kneipe landen oder im Kino, wenn nicht gleich zu Hause vorm Fernseher, der neben dem Gang ins Fitnessstudio wohl einfallslosesten Art und Weise der Freizeitgestaltung. Dieses Buch zu schreiben, war also zunächst mal ein Tritt in meinen eigenen Hintern: Mach was! Steh auf! Geh raus! Such dir ein Hobby – aber nicht etwa halb im Scherz, wie man es zu Leuten sagt, die sich nicht entspannen können, sondern ganz im Ernst.

„Genussarbeiter“ nennt die Philosophin Svenja Flaßpöhler Leute wie mich – Leute, bei denen der Genuss bisweilen in Überdruss umschlägt. Wir haben es verlernt, uns Zeit zu reservieren für private Rituale, unsere ganz individuellen Interessen, Schutzzonen einzurichten gegen die Übergriffe der Arbeitswelt. Es geht um Antworten auf eine elementare Frage unserer spätmodernen Zeit, der nach der – schlimmes Wort, aber wichtiger Gedanke – Work-Life-Balance: Wie schaffen wir es, unser Leben so einzurichten, dass es nicht von der Arbeit dominiert wird, auch die Freizeit zu ihrem Recht kommt? (Dass von entspannten, ausgeglichenen Arbeitnehmern auch wieder der Job profitiert, macht das Hobby – allerdings unbeabsichtigt – zur Win-win-Situation, gegen die auch Neoliberale nichts haben können.)

Bei den Recherchen zum Buch habe ich Miriam kennen gelernt, eine angehende Juristin, die mich schwer beeindruckt hat mit der Klarheit, mit der sie über ihre Bedürfnisse spricht, und der Konsequenz, mit der sie ihnen nachgibt. Miriam hat ein gemietetes Gemüsebeet – ein Hobby, das zu ihr passt, herausfordernd wie ihr Jurastudium. Mindestens dreimal die Woche fährt sie raus zum Beet – manchmal sogar in der Mittagspause. Für sie ist das nicht anstrengend, sondern – ganz im Gegenteil – eine Art Kurzurlaub. Dass ihr Umfeld auf diesen Einsatz mitunter verständnislos reagiert, ficht Miriam nicht an, weil sie ihr Hobby nicht für andere hat, nicht fürs Image, sondern ganz für sich allein, aus einem inneren Bedürfnis heraus. „Ich glaube“, sagt sie, „dass die Skepsis, die mir entgegengebracht wird, auch von Neid geprägt ist“ – Neid darauf, dass sie ein Hobby gefunden hat, das sie glücklich macht.

Verliebt in die Außenwirkung des eigenen Lebens

Damit wären wir wieder bei dem Facebook-Kommentator, der im Hobby die „Leidenschaft der Leidenschaftslosen“ sieht. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, kann mir diese unverhältnismäßige Abwehrhaltung aber kaum anders erklären als Miriam: Ein Hobby tut doch niemandem weh! Kann man die Leute denn nicht einfach gewähren lassen, wenn sie imkern, brauen oder gärtnern wollen? Sollte man in ihnen nicht eher ein Vorbild sehen, dem es nachzueifern lohnt? Wirken sie etwa unglücklich dabei? Im Gegenteil, oder?

Das Gewöhnliche gilt in unserer Gesellschaft als furchtbar uncool (vom Normcore-Trend in der Mode mal abgesehen): Jeder will was Besonderes sein, keiner so wie die anderen. Individualität ist der wohl überstrapazierteste Begriff unserer Zeit, Distinktion ein nicht so häufig gebrauchter, aber umso allgegenwärtiger gelebter. Manche Leute wirken mehr in die Außenwirkung ihres Lebens verliebt als in ihr Leben an sich.

Der Zwang zur ständigen Produktivität auf der einen Seite und der Drang zur Abgrenzung gegen die Umwelt auf der anderen macht es dem Hobby schwer. Der Hamburger Freizeitforscher Ulrich Reinhardt nennt es im Interview für das Buch „eine Frage der gesellschaftlichen Anerkennung“: „Nennen Sie mir ein Hobby, das cool ist. Nehmen wir mal an, Sie lernen in der Kneipe eine attraktive junge Dame kennen, die Sie fragt, was Sie in Ihrer Freizeit so treiben. Wenn Sie dann von Ihrer Briefmarkensammlung erzählen, hätten Sie wohl schlechte Karten.“

„Einfach nur was für mich“

Der Herr Professor flippert in seiner Freizeit übrigens leidenschaftlich gern – ein Hobby, mit dem er bei Kollegen gelegentlich auch Unverständnis erntet. „Aber mir macht es Spaß und ich finde es wichtig, mich in der Freizeit von dem Gefühl freizumachen, irgendwas schaffen oder es irgendwem recht machen zu müssen“, sagt er. „Es ist auch okay, einfach nur was für mich zu machen.“

Denn, möchte ich hinzufügen, wir haben das Glück, in einem Land und einer Zeit ohne größere Not zu leben – ein Privileg, das wir auskosten sollten: Wir können es uns leisten, Dinge um ihrer selbst willen zu tun, individuelle Passionen zu pflegen. Außer Zerstreuung, Spaß und Erholung müssen sie nichts einbringen. Ernährt werden wir von einem Job, der uns – zumindest auf dem Papier – genug Zeit dafür lässt. Funktionieren müssen wir im Hobby ausnahmsweise nicht, das Streben nach Perfektion hat Pause. Oder zumindest der Zwang dazu. Auch Scheitern ist okay. Das Hobby fordert uns sogar regelrecht dazu heraus, mehr Dilettantismus zu wagen.

„Rund um die Uhr Anwältin zu sein und kein Mensch mehr drum herum wäre für mich die Hölle“, sagt die Mietbeet-Juristin Miriam. Aus dieser Hölle kann das Hobby ein Ausweg sein. Oder – besser noch – dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Mit anderen Worten: Rettet das Hobby! Es wird sich revanchieren.

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