Betrug, Bestechung und Inklusion: Wendes Flucht nach vorn

Mitten im Wirbel um Betrugsverdacht präsentiert Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Wende ihr Konzept für die Inklusion. Das Papier lässt Fragen offen.

Will sich nicht verstecken: Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos). Bild: dpa

KIEL taz | Waltraud Wende tourt in diesen Tagen durch die Schulen Schleswig-Holsteins, begrüßt ABC-Schützen und frisch verbeamtete Lehrkräfte – alles wie gewohnt, trotz der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen die parteilose Bildungsministerin, der Betrug und Bestechung vorgeworfen wird.

Als Gegengewicht zum Skandal stellte Wende ein Konzept zur Inklusion, also der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung, vor. Das Papier, das vom Kabinett beraten und verabschiedet wurde, war lange erwartet worden. Über das Ergebnis sind Fachleute von Behindertenorganisationen und Lehrergewerkschaft enttäuscht, die Opposition kritisiert den „Schnellschuss“, und sogar Anke Erdmann vom grünen Koalitionspartner sieht „offene Fragen“.

Wende, die das Konzept nur per Pressemitteilung veröffentlichte, sprach von einem „Paradigmenwechsel“: Künftig solle die Schule jedes Kind „in seiner Eigenheit wahrnehmen und angemessen unterstützen“. Das setzte voraus, dass die Schulen „multiprofessionell“ ausgestattet seien. Dazu werden neue Assistenz-Stellen in Grundschulen eingerichtet, auch die Schulsozialarbeit wird weiter finanziert. Es fehlen aber Aussagen zur Begleitung von Kindern mit Behinderung im Unterricht – hier hatte es im Frühjahr ein Gerichtsurteil gegeben, das den Schulen und damit dem Land die Aufgabe und die Kosten dafür auferlegt.

Ab 2015 sollen pro Jahr 13 Millionen Euro für rund 314 Assistenzstellen an Grundschulen zur Verfügung gestellt werden. Andere Schularten sollen folgen.

Förderzentren bleiben erhalten, parallel werden Zentren für inklusive Bildung (ZiB) aufgebaut, die koordinieren und beraten.

Inklusion im Unterricht wird Lehrstoff im Pädagogik-Studium, für Lehrkräfte im Beruf gibt es Fortbildungen.

Die Verteilung von Sonderpädagogen an Schulen wird transparenter.

Jugendliche mit Förderbedarf sollen verstärkt in Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden.

Schleswig-Holstein steht im Bundesvergleich neben Bremen ganz weit oben bei der Inklusion. Im Schnitt besuchen gut zwei Drittel, in einigen Regionen sogar fast alle Kinder mit Behinderungen oder Lernstörungen die Regelschulen – was gerade in kleinen Schulen Probleme bereitet, weil oft eine zweite Lehrkraft für den Unterricht fehlt. So wurde im Frühjahr darüber beraten, „Modellschulen“ zu schaffen, die besonders gut ausgestattet sein sollten, um Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen. Davon ist im jetzigen Konzept nicht mehr die Rede. Allerdings will das Ministerium die noch bestehenden Förder- und Landeszentren für körperliche Behinderungen erhalten. Zusätzlich sollen „Zentren der inklusiven Bildung“ entstehen, die beratend und steuernd tätig sind – Details bleibt das Konzept schuldig.

„Zu unkonkret, die Schulassistenz ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein – Chance vertan“, urteilt Bärbel Brüning von der Lebenshilfe Schleswig-Holstein. Sie kritisiert, dass es im Vorfeld zwar Anhörungen, aber „keinen echten Dialog“ mit Verbänden und Eltern gegeben habe – dabei wollte die Regierung aus SPD, Grünen und SSW eben den Dialog besonders stärken.

Unklarheiten bemängelt auch Matthias Heidn, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Ihm fehlen zusätzliche Lehrerstellen. Behindertenverbände und der Kinderschutzbund begrüßen, dass es künftig Förderzentren geben soll. Massive Kritik kommt von der Opposition: „Keine Inhalte, keine Konzepte, keine Finanzierung, keine Zuständigkeiten, keine Schulbegleiter – aber tausend offene Fragen“, so der Chef der CDU-Kommunalpolitiker Ingbert Liebing.

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