Klimakiller in Planung

Weil altersschwache Kraftwerke ersetzt werden müssen, erlebt derzeit Kohle als fossiler Energieträger eine Renaissance. Ein belgischer Stromriese versucht, in den in den Norden zu drängen

von Kai Schöneberg

Rapsöl, Biomasse, Wind- und Solarenergie sind für einige Energiekonzerne offenbar immer noch alte Hüte, das Klimaschutzziel des Kyoto-Protokolls scheint ihnen nicht ganz so wichtig. Gleich mehrere Stromkonzerne denken derzeit über den Bau neuer Klimakiller in Deutschland nach: Gestern verkündete der belgische Stromriese Electrabel, er prüfe den Bau eines Kohlekraftwerks in Hamburg, Wilhelmshaven oder Stade. Kosten: etwa 750 Millionen Euro. „Wann eine Entscheidung fällt, ist noch offen“, sagte eine Sprecherin. Auch weitere Standorte in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich würden untersucht. Details nannte sie nicht.

Hintergrund ist der Plan der Belgier, ihre Kapazitäten in Europa von 29.000 Megawatt auf 35.000 zu erhöhen. Derzeit betreiben sie Kraftwerke in Gera und Saarbrücken, wollen aber im sich neu formierenden Strommarkt punkten. Die hiesigen Energieerzeuger stehen vor großen Umwälzungen: Da viele Kraftwerke altersschwach sind, müssen allein in Deutschland bis zum Jahr 2020 etwa 40.000 Megawatt Kraftwerks-Leistung durch Neuanlagen ersetzt werden.

Immerhin gut eine Million Euro lässt es sich Electrabel derzeit kosten, den Standort Stade bis zur Genehmigungsreife zu prüfen. Außerdem haben sich die Belgier bereits beim Grundstückseigner die 22 Hektar große Fläche bis zum Jahr 2007 reserviert. Der Bau eines 600 Megawatt-Kohlemeilers würde nach dem Herunterfahren des Atomkraftwerkes im November 2003 Stade wieder zum Energiestandort machen.

Während der Bau von Kohlekraftwerken in Dänemark verboten ist, steht Deutschland offenbar vor eine Renaissance des fossilen Energieträgers. Viele Stadtwerke planen an neuen Kraftwerken: Neben Bremen wird derzeit auch ein Projekt in Hannover diskutiert. „Dafür fehlt uns jedwedes Verständnis“, sagt der grüne Wirtschaftsexperte Enno Hagenah. Da der Betrieb eines Kraftwerkes auf 40 Jahre ausgelegt sei, binde man sich nach dem Bau eines Kraftwerks etwa bis zum Jahr 2050 an den Kohlestrom. „Das führt längerfristige Klimaschutzziele wie die CO2-Reduktion um 80 Prozent bis 2050 ad absurdum.“ Der SPD-Wirtschaftspolitiker Günter Lenz sieht in den Elektrabel-Plänen dagegen „eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen“. Günstige Energie sei für viele Branchen „eine Existenzfrage“, ein zusätzlicher Anbieter bedeute mehr Wettbewerb und sinkende Strompreise.

Derzeit blasen allein die deutschen Kohlekraftwerke jährlich 250 Millionen Tonnen CO 2 in die Atmosphäre, das rheinische Braunkohlenrevier ist mit seinen vier Kraftwerken die größte Kohlendioxidquelle Europas. Dennoch: Ein neues Kohlekraftwerk muss nicht zwangsläufig den Weg zurück in die energietechnische Steinzeit bedeuten. Nach derzeitigem Stand der Technik belastet eine Kilowattstunde Strom aus einem Braunkohlekraftwerk das Klima mit über einem Kilo CO2, bei gleicher Strommenge aus einem Gaskraftwerk sind es nur 365 Gramm. In Brandenburg wird jedoch momentan getestet, ob sich die Emissionen in unterirdischen Gaskavernen lagern lassen.

Noch ist das auch für Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) Zukunftsmusik. Weil „der Bremsweg im Klimaschutz lang ist“, sei er zwar „nicht dafür, sämtliche alten fossilen Kraftwerke durch neue Kohlekraftwerke zu ersetzen“. Aber Klimaschutz liege ja auch „im ureigenen Interesse der Unternehmen“. Schließlich bräuchten die langfristige Investitionssicherheit. „Und die“, so Gabriel, „werden sie nicht haben, wenn sich der Klimawandel weiter beschleunigt.“