Aids-Aktivist über Queerness und Kunst: „Ich bin ein Überlebender“

Douglas Crimp ist Kunstkritiker und Mitbegründer der Queer Theory. Im Gespräch erzählt er von seinem Leben mit HIV und schlechten Filmen über Aids.

Schrieb schon über queere Kunst, als die Queer-Theorie noch nicht begründet war: Crimp in seinem Büro, New York 1971 Bild: Galerie Buchholz, Berlin

taz: Herr Crimp, Ihren Aufsatz „On the Museum’s Ruins“ eröffnen Sie mit einem Ausspruch Adornos: „Museen sind die Familiengräber der Kunstwerke.“ Zurzeit widmet sich in Berlin eine Ausstellung Ihrem Schaffen. Wie lösen Sie für sich den Widerspruch, dass Ihre Arbeit in Vitrinen musealisiert wird?

Douglas Crimp: Der Begriff des Museums steht in meinem Buch zwar für die gesamte Kunstwelt als Institution, das Museum selbst ist aber eine sehr spezifische Form von Institution. Als ich den Aufsatz 1980 schrieb, war ich sehr an Foucaults Kritik an Institutionen wie der Klinik, der psychiatrischen Anstalt oder dem Gefängnis interessiert und habe versucht, das Museum einer ähnlichen Analyse zu unterziehen. Ich stand dem, was man als Ideologie des Museums bezeichnen kann, sehr kritisch gegenüber, denn Museen entziehen die Kunstwerke ja quasi jeder Alltagserfahrung und machen sie kontextfrei, fast schon wie in einem Vakuum. Ich würde die Ausstellung insofern gegen solche Vorwürfe verteidigen, als dass sie den Versuch unternimmt, der Kunst einen Kontext zu geben. Neben Kunstwerken gibt es dort Bücher, Grafiken von Aids-Aktivisten und Porträtfotos zu sehen. Wenn man also sehr ungleiche Dinge gegenüberstellt, können diese Dinge dann nicht nur eine Verbindung miteinander eingehen, sondern auch zum Nachdenken anregen.

Wovon handelt die Ausstellung?

Die Ausstellung basiert auf meinen Memoiren, die meine ersten zehn Jahre in New York, von 1967 bis 1977, verhandeln. Das übergeordnete Ziel der Memoiren ist, allen radikalen Aktivitäten dieser Zeit etwas gegenüberzustellen. Die Anfänge der Schwulenbewegung, die Blütezeit der Queer Culture in New York vor und nach Stonewall und die Höhepunkte der radikalen, sexuellen, schwulen Subkultur waren damals ein wichtiger Teil meines Lebens. Gleichzeitig stellte diese Phase einen extrem experimentellen Moment in der Praxis der zeitgenössischen Kunst dar. Es waren Umbruchzeiten, in denen klassische Gattungen wie Malerei und Skulptur zwar nicht völlig ausgedient hatten, jedoch einiges an ihrer zentralen Bedeutung verloren. Mit dem Aufkommen von Performance- und Videokunst kam es zu einer Öffnung der Kunst und einem Neudenken darüber, was ein Kunstwerk sein kann. Das alles passierte in New York und eben auch in meinem Leben als Gegenüberstellung von Gegensätzen, aber auch in Nähe zueinander, aber nicht notwendigerweise im Dialog miteinander.

Als Sie begannen, über queere Kunst zu schreiben, gab es Queer-Theorie als Konzept oder Disziplin noch gar nicht. Heute gelten Sie als einer ihrer Gründerväter. In Ihren Essays geht es nicht nur um eine Gegenüberstellung, sondern vielmehr auch um eine Integration von Queerness, Sexualität und schwuler Erfahrung in Formen der Kunst und des Films. Wann war klar, dass diese Verbindung Ihnen ein fruchtbares akademisches Feld eröffnen würde?

Das kam mit Aids. Meine Memoiren gehen dieser Zeit allerdings voraus, denn es geht in dieser Periode um meine Konflikte und Verhandlungen mit zwei Welten – der Kunstwelt und der queeren Subkultur. Natürlich gab es damals schon viele Tunten in der Kunstwelt, und in der queeren Welt waren viele an Kunst interessiert. Dennoch war es keine Zeit, in der offen schwule Künstler sonderlich akzeptiert waren. Künstlern wie Ellsworth Kelly war es unangenehm, wenn Leute wussten, dass sie schwul waren.

Das gilt auch für Robert Rauschenberg oder Jasper Jones.

Es gab natürlich auch Ausnahmen, denn Andy Warhol hat sein Schwulsein ja nicht gerade versteckt. Ich beschäftigte mich also mit Kunst und war Teil einer schwulen und sexuellen Kultur, die zu dieser Zeit regelrecht explodierte. Ich wollte diese Dinge miteinander verbinden, hatte aber keine Ahnung, wie. Damals gab es außer Jack Smith und Andy Warhol noch nicht viel schwule oder queere Kunst.

Welche Rolle spielte Aids dabei?

Crimp, am 18. August 1944 in Idaho geboren, ist US-amerikanischer Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Kurator, Aids-Aktivist und Vertreter der Queer Studies. Er hat Aufsatzsammlungen zu den Themen Aids, zeitgenössische Kunst und über die Filme Andy Warhols veröffentlicht. Das Arsenal – Institut für Film und Videokunst in Berlin hat Douglas Crimp anlässlich seines 70. Geburtstags ein Symposium gewidmet. Die Ausstellung „Pictures, Before and After“ in der Berliner Galerie Buchholz ist noch bis Ende Oktober zu sehen. Im Jahr 2015 werden Crimps Memoiren erscheinen.

Anfang der 80er war Aids allgegenwärtig, ich konnte nicht länger meine Augen davor verschließen. Ich widmete 1987 eine Ausgabe des Kunstmagazins October dem Thema. Zudem gab es in New York im New Museum eine erste Kunstausstellung zu Aids, die „Homo Video“ hieß und von William Olander kuratiert wurde, der später an Aids starb. Die Ausstellung selbst befand sich in einem Hinterzimmer des Museums, während im Hauptteil eine große Ausstellung des Konzeptkünstlers Hans Haacke zu sehen war. Ich fand es interessant zu sehen, dass diese beiden politischen Ausstellungen nebeneinander im Museum gezeigt wurden, es aber keinerlei Bemühungen gab, die queeren und Aids-aktivistischen Arbeiten mit den konventionell aktivistischen Arbeiten in Verbindung zu setzen. Die Aids-Ausgabe von October war mein erster Versuch, etwas über sexuelle Politik in der Kunstwelt zu sagen. Für mich war es ein klarer Wendepunkt. Ich begann über meine eigene queere Welt zu schreiben und über die Aids-Krise. Zudem trat ich der Aids-aktivistischen Organisation Act Up bei und wurde Teil der allgemeinen Protest- und Bürgerrechtsbewegung. Diese Ausgabe von October war dann ziemlich einflussreich, wodurch ich Leute kennenlernte, die mit Aids und queerem Aktivismus zu tun hatten. Darunter waren KollegInnen wir Eve Sedgwick, deren Arbeiten dann später zu dem wurden, was wir heute als Queer-Theorie kennen.

Sie haben sich auch mit dem Bild schwuler Männer in Aids-Filmen auseinandergesetzt. Das Theaterstück „The Normal Heart“, das Sie damals kritisierten, wurde vor Kurzem erst verfilmt. Zudem erlebt Aids mit Filmen wie „Dallas Buyers Club“ und „Test“ gerade eine filmische Renaissance. Was sagen Sie zu diesen Filmen?

„Test“ ist voller Fehlinformationen. Dieser Film hat mich rasend gemacht! Ich habe mir „Test“ angeschaut, weil die beiden Hauptfiguren Tänzer sind und Tanz eines meiner Forschungsfelder ist. Zudem ist es ein Film, der aus der Gegenwart auf die Anfänge von Aids zurückblickt. Die Frage, ob man sich testen lassen sollte oder nicht, war in den Anfängen von Act Up ein Riesenthema. Wir widersetzten uns damals vehement dem Zwang der Regierung, sich testen zu lassen, und wollten, dass das eine autonome Entscheidung bleibt. Darüber wusste ich aus erster Hand sehr viel und war über die Darstellung im Film entsetzt. Der Film handelt von zwei Mainstream-Schwulen, die miteinander abhängen, ohne dass irgendeine Idee von schwuler Community vermittelt würde – und das gerade in Zeiten von Aids! Ich fand es schockierend zu sehen, dass der Film behauptet, wir hätten unsere Informationen damals von Ärzten bekommen, wohingegen wir die Frage, ob wir getestet werden sollten, mit unseren Freunden besprachen. Die schlimmste Fehlinformation liegt aber darin, dass sich die Hauptfigur sofort nach dem ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Mann testen lässt, und der Test negativ ausfällt. Natürlich hat der Körper zu diesem Zeitpunkt noch keine Antikörper gebildet. Solche Fehlinformationen hätten uns damals rasend gemacht. Und wer es heute nicht besser weiß, glaubt so etwas natürlich auch.

Zudem spielt die Moral in Bezug auf Aids, über die Sie viel geschrieben haben, bei „Test“ auch eine besondere Rolle, wenn man an das Happy End denkt.

Das Happy End hat dem Ganzen dann die Krone aufgesetzt! Der endgültige Test besteht darin, ob beide Figuren monogam sein können, nachdem sie beide negativ getestet wurden. Beide hatten noch nie Sex miteinander, dürfen sich dann aber verlieben, um zu heiraten, weil sie damit auf der sicheren Seite sind. So etwas ist einfach nur skandalös.

Sehen Sie sich selbst als Überlebenden?

Natürlich. Ich habe HIV und Hepatitis C und bin 70 Jahre alt. Ich hatte Glück. Ich habe mich erst sehr spät infiziert, als es bereits den Medikamentencocktail gab. Ich bin ein Überlebender, der viel Glück hatte, denn selbst zu Beginn der Epidemie hatte ich keinen geschützten Sex, und damals wären meine Überlebenschancen sehr gering gewesen. Es war reine Glückssache.

Gibt es etwas, das Sie zukünftigen Generationen mit auf den Weg geben wollen?

Vielleicht nicht gerade „zukünftigen Generationen“, aber jüngeren WissenschaftlerInnen würde ich sagen: Habt mehr Spaß, solange ihr jung seid! Arbeitet nicht so viel und geht mehr tanzen! Denn wenn ihr älter werdet, habt ihr immer noch genug Zeit.

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