Klick als Köder

Online-Portale wie das neu gestaltete jetzt.de der „Süddeutschen Zeitung“ wollen mit der Chance zur Selbstdarstellung junge Zeitungsleser werben

Von Patrick Bauer

Es war ein schlimmes Wochenende. So ungewohnt offline. Ein Wochenende der gewagten Reform, des bangen Wartens, der nervösen Klicks auf den Aktualisierungsbutton. Eine Ära ging zu Ende, Skepsis wurde laut. Sofern denn Online-Kommentare laut werden können oder ein Smiley vermag, Skepsis auszudrücken gegenüber der Neugestaltung der jungen Webplattform jetzt.de.

Dabei: Ein bisschen schlichter sind die hippen Seiten des Süddeutschen Verlags gestern höchstens geworden, etwas strukturierter, Nutzer haben gleichzeitig allerlei technischen Schnickschnack zur Verfügung, und wenn sie künftig Artikel über die große Lieben oder die große Politik verfassen, dann in neuen Rubriken, die ohnehin immer schon programmatisch waren: Macht, Pop, Sex, Job, Kultur, Technik, Leben.

Jetzt.de ist gewissermaßen das Vorbild aller ambitionierten Online-Portale für junge Erwachsene. Das Online-Angebot, 2001 gestartet als Auftritt des quergeliebten jetzt-Magazins, das 2002 eingestellt wurde, wird fanatisch mitgestaltet. „Wir sind für viele ein echtes Zuhause“, sagt Redaktionsleiter Dirk von Gehlen. Dabei stets weniger Informations- als Selbstdarstellungsplattform, ein Selbermach-Magazin. Heute erscheint jetzt gedruckt nur montags auf einer Seite der Süddeutschen Zeitung. Gleichzeitig hat jetzt.de hohe Benutzerzahlen und laut von Gehlen „immense Glaubwürdigkeit“.

Und Kredibilität ist es vor allem, die auch verwandte Angebote funktionieren lässt. Neben jetzt.de zählt wohl neon-magazin.de, des jung gebliebenen Monatsmagazins Neon aus dem Hause Gruner+Jahr, zu den eingängigsten. Christian Flierl, verantwortlicher Redakteur von neon-magazin.de sagt: „Im Freundeskreis sollen unsere Nutzer sagen können: „Hey, ich habe mich auf Neon online registriert, schau dir das doch auch mal an.“ Flier sagt zwar „hey“, weiß aber, dass es ebendas zu vermeiden gilt: Hey-Du-Journalismus. Denn das Erfolgsrezept der wachsenden Online-Community liegt nicht nur in der Chance, hier das Heft weiterzudenken oder zu kritisieren, sondern vor allem in der Ansprechhaltung. „Wir nehmen die Leute ernst“, sagt Flierl.

Ähnlich klingt es, wenn Christian Bangel, Einmannredaktion des täglich aktualisierten Essay- und Kolumnen-Blogs zuender .zeit.de sagt: „Die 18- bis 25-Jährigen wollen komplexe Zusammenhänge in ihrer Sprache dargestellt.“ Zwar betont Bangel, dies unterscheide sein Projekt vom „Hurra-Jugend-Lebensgefühl“ der anderen, aber doch stehen jetzt.de, neon-magazin.de und zuender.zeit.de an der Spitze zahlreicher nachwuchsködernder Seiten, zunehmend auch von Regional- oder Lokalzeitungen. Nicht ohne Grund. „Es ist zwar nicht messbar, aber eine hohe Affinität unserer Leser zu Produkten des Verlages besteht“, sagt jetz.de-Leiter Dirk von Gehlen. Was jeden Freitag bemerkbar wird. Dann erscheint das SZ-Magazin und wird in seinen Foren eifrig betratscht.

Von Gehlen würde es so natürlich nie sagen, aber: Arg selbstreferenziell war der Schreibbetrieb zuletzt dennoch geworden. Tagebuchlastig. Deshalb ist die wichtigste Neuerung der Newsticker. Die aktuellen Meldungen der Süddeutschen Zeitung, an deren klarsichtige Homepage jetzt.de nun erinnert, sind permanent einsehbar. „Wir wollen näher an die Zeitung“, sagt von Gehlen, „und zeigen: Das lohnt sich zu lesen.“ In der Redaktion, auch unter den Besuchern gebe es schon lange den Wunsch nach mehr Relevanz, doch von Gehlen leugnet nicht, dass gerade auch der Süddeutsche Verlag immenses Interesse an solcherlei Verknüpfungen hatte. An der relevanten Sorgenkind-Zielgruppe.

Über den Browser an den Kiosk? Dr. Wolfgang Schweiger, Medienwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München hält Formate wie jetzt.de zuvörderst für wichtige Imagefaktoren. „Die Mediennutzung geht immer weiter weg vom Print, gerade bei jungen Leuten“, sagt er. Online-Portale, sagt Schweiger, könnten keine neuen Leser erschließen, schon gar keine neue Leserklientel, aber: „Sie stärken die Marke der Zukunft.“ Nur der journalistische Irrglaube, auf Papier zählten Artikel mehr als auf dem Monitor, sorge noch für andere Hoffnungen.

Dirk von Gehlen wird häufig gefragt, ob er darauf hoffe, sein Magazin bald wieder auf Papier bringen zu können. „Man kann natürlich Funktionierendes ausbauen“, sagt er dann diplomatisch. Die Frage ist nur, wie viele der 100.000 Redakteure er dafür übernehmen könnte. So viele registrierte Nutzer hat nämlich jetzt.de.