Lärm-Legenden in Hamburg: Urzeitechsen in Ekstase

No Wave in Hamburg: Glenn Branca und - etwas später - die Swans spielen auf Kampnagel. Laut wird es an beiden Abenden.

Der Mann der 1000 Obertöne: Glenn Branca. Bild: IntangibleArts / Wikimedia Commons

HAMBURG taz | Ein dichter Nebel: klirrende Gitarren, Rückkopplungen, Perkussion und ein unheilverkündender Bass. Schroffe Klangblöcke erheben sich über einem überstürzten Rhythmus, fallen ineinander, verschmelzen und explodieren schließlich in einer atemberaubenden Kakophonie. Ein 13-minütiges Erdbeben aus Glockenschlägen, mikrotonalen Eruptionen und orgastischer Gitarrenglückseligkeit.

Glenn Brancas 1981 aufgenommenes zweites Album „The Ascension“ ist so etwas wie die Urszene der postminimalistischen New Yorker Downtown-Avantgarde: Noise-Bands wie Sonic Youth oder die Swans hätte es wohl nicht gegeben ohne Brancas dröhnend-halluzinatorische E-Gitarren-Kompositionen; teils trafen sich ihre Mitglieder in den wechselnden Ensembles, die der demnächst 66-Jährige speziell gestimmte Instrumente bearbeiten ließ.

In Hamburg konnte man Branca um 1983 in der Fabrik erleben (wer sich genauer erinnert, war nicht dabei). Am Mittwoch bringt er nun mit seinem derzeitigen Ensemble nach 33 Jahren seine „The Ascension“-Trilogie zum Abschluss. „Mit zunehmendem Alter interessiert mich das Schreiben mehr als das Auftreten“, bekannte er 2010, im Anschluss an die Aufführung von „The Ascension: The Sequel“ beim Donaufestival in Krems. „Der Stand der Dinge ist jedoch, dass ich, um es mal brutal ehrlich zu sagen, auftreten muss, damit meine Werke aufgeführt werden.“

Der Zwang zur Anwesenheit mag aus seiner Sicht bedauerlich sein, das Publikum darf sich hingegen glücklich schätzen, dass sich für den öffentlichkeitsscheuen New Yorker Komponisten in den vergangenen Jahren wenig bis nichts geändert hat. Wenn er behauptet, seine Musiker und Musikerinnen seien so gut, dass es seiner Anwesenheit nicht bedürfe, verschweigt er seine Rolle: als Auge im Sturm.

Branca ist dafür bekannt, sein extrem dynamisch aufspielendes Ensemble im Griff zu haben, und das sollte, ja, muss man mal gesehen haben. Zum selben Schluss kommt Lee Ranaldo, langjähriger Gitarrist von Sonic Youth und wie Kollege Thurston Moore ehemaliges Ensemble-Mitglied: In den Linernotes zur „The Ascension“-Wiederveröffentlichung philosophiert er 2003 über die Defizite der Aufnahmen, darüber, dass sich diese Musik erst im Raum wirklich eröffnet. Ranaldos Resümee: „Maybe you just had to be there?“ Keine Frage.

Im zitierten Interview mit dem österreichischen Magazin Skug spricht Branca, der Mann der tausend Obertöne, auch schon von seiner Arbeit an „The Ascension: Three“, die er gedenke, noch im selben Jahr abzuschließen. Die Musik solle „ganz anders klingen“, mehr war ihm nicht zu entlocken. Dennoch lässt sich versprechen, dass es auch am Mittwoch sehr laut wird, oder, wie Branca sagen würde, „dynamisch“. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn der Himmel nicht wieder voller merkwürdig gestimmter Gitarren hinge, die Töne erzeugen, die niemand gespielt hat …

Heftige Kurswechsel

Keine drei Wochen später gastieren die Swans am selben Ort. Die Verflechtungen sind multidimensional, rein faktisch: Die Swans entstammen wie Branca der frühen New Yorker Noise-Szene, veröffentlichten 1983 ihr Debüt „Filth“ auf Brancas Label Neutral und ihr bis heute alleiniger Herrscher, Michael Gira, hat natürlich, ebenso wie ein paar andere der zahlreichen Swans-Mitglieder, auch schon mal für oder unter Branca gespielt.

Relevanter sind die Gemeinsamkeiten im Alter: Während sich Brancas Volldampf-Minimaximalismus im Zuge wenig verändert hat, haben die Swans nach heftigen Kurswechseln – von Noise-Rock über Neo-Folk und Psychedelic zu Anti-Americana und zurück – zuletzt noch einmal etwas deutlicher aufgeschlossen. Bei seinem letzten Kampnagel-Auftritt, im Winter 2012 anlässlich des Jahrhundertalbums „The Seer“, wirkte Gira mehr denn je wie ein in das aktive Bühnengeschehen eingreifender Dirigent.

Weit darüber und über ihre gemeinsame Vergangenheit hinaus eint ihre stets extrem lauten Konzerte jedoch vor allem eins: Der Moment, in dem die Musik zu einem psychoakustischen Ereignis von der Gestalt einer Urzeitechse wird. „Das Ziel ist Ekstase!“, verspricht Gira. Ihr seid gewarnt.

Glenn Branca Ensemble: Mi, 8. 10., 21 Uhr, Kampnagel.

Swans: Mo, 27. 10., 20 Uhr, Kampnagel.

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