Stille Straße: Senioren im Protestmodus

Weil es mit den Fördermitteln aus dem Lottotopf nicht klappte, müssen Pankows Senioren wieder um die Zukunft ihrer Begegnungsstätte bangen.

In der Stillen Straße ärgert man sich doch. Bild: dpa

Außerordentliche Vorstandsversammlung bei der Seniorenfreizeitstätte Stille Straße 10 in Pankow. In der alten Villa geht es hinter verschlossener Tür um nicht weniger als die Zukunft der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße. Doris Syrbe, Vorsitzende des Vereins, kommt für eine Pause aus dem Konferenzraum. Die 74-Jährige mit den roten Haaren wirkt ratlos. Nachdem die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin vor kurzem den Antrag auf Fördergeld für eine nötige Sanierung abgelehnt hat, steht der Verein ein weiteres Mal vor einer ungewissen Zukunft. Die Enttäuschung klingt in Syrbes Stimme mit. „Wir hatten große Hoffnung auf den Zuschuss, da vorab das Bezirksamt Pankow und Sozialsenator Mario Czaja unterstützende Stellung für unser Anliegen bezogen haben“, sagt sie

Parallel zu der außerordentlichen Versammlung vergangene Woche leitet Dieter Richter den wöchentlichen Englischkurs im Veranstaltungsraum. Seit Beginn der Begegnungsstätte 1998 ist er dabei. „Für mich wäre die Schließung ein Desaster. Die Stille Straße ist mehr als nur eine Begegnungsstätte“, sagt er, und seine Schülerin Jutta Harney fügt hinzu: „Der Bezirk hat auch uns gegenüber eine Verantwortung. Wir Rentner haben mehr Bedürfnisse als rumhängen und schön essen.“

Dafür hat der Verein mit seinen 220 Mitgliedern auch schon einiges getan. Nachdem die Bezirksverordnetenversammlung Pankow im März 2012 beschlossen hatte, die Begegnungsstätte zu schließen, besetzten die Senioren am 30. Juni 2012 die Villa – und blieben fast vier Monate. Nachdem ganz Deutschland die Geschehnisse in Pankow verfolgte und sogar iranische und australische Journalisten in der Stillen Straße vorbeischauten, lenkte der Bezirk ein und suchte einen freien Träger, der die Einrichtung unter Beteiligung der Senioren weiterführt. Die Volkssolidarität zeigte als Einzige Interesse und übernahm im Januar 2013 die Trägerschaft.

Das Fördergeld fehlt

Ende dieses Jahres läuft der mietfreie Nutzungsvertrag zwischen dem Bezirk und der Volkssolidarität aus. Beide Parteien haben bereits einen Erbbaupachtvertrag ausgehandelt, der der Volkssolidarität das Grundstück übertragen soll – zu einem sicheren Erhalt der Seniorenstätte. Alle Hoffnung, das Grundstück zu überschreiben, verflog jedoch mit der ablehnenden Entscheidung der Deutschen Klassenlotterie Ende September.

Ohne das Fördergeld von 800.000 Euro, das für die behindertengerechte Sanierung sowie die Modernisierung des Brandschutzes und des Heizungssystems nötig ist, möchte die Volkssolidarität das Grundstück nicht übernehmen. Heidi Knake-Werner, Vorsitzende der Volkssolidarität, sagt: „Aus eigener Kraft können wir nichts machen. Nun müssen wir mit dem Bezirk sprechen und nach seriösen Möglichkeiten suchen.“

Christine Keil (Linke), Bezirksstadträtin und Leiterin der Abteilung Jugend und Facility Management, signalisiert Zustimmung. „Wenn es bis Ende des Jahres keine Lösung geben wird, verlängern wir den Nutzungsvertrag über das Jahresende hinaus“, sagt Keil der taz. „Damit ist das Sanierungsproblem aber noch nicht gelöst.“

Auch Keil ist sehr betrübt über die Entscheidung der Deutschen Klassenlotterie. „Wir wollen eine Lösung mit der Volkssolidarität. Der Erbbaupachtvertrag liegt bereits verhandelt im Schubfach. Dieser hätte auch unterschrieben werden können, hätte die Lotterie die benötigte Förderung bewilligt.“ Wo das Geld für die Sanierung nun herkommen soll, bleibt offen, und damit auch die Zukunft der Villa.

Eine existenzielle Frage

Am Tag der außerordentlichen Vorstandsversammlung ist auch Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linken von Pankow, zu Besuch. Er kritisiert gleichfalls die Entscheidung der Deutschen Klassenlotterie. „Ich möchte nichts gegen andere Projekte einwenden, aber in diesem Fall geht es um eine existenzielle Frage und ob der ehrenamtliche Kampf von Bürgern gewürdigt wird oder ob man ihn mit Füßen tritt. Ich denke, Letzteres ist der Fall“, sagt er der taz.

Aber anstatt zu verzweifeln, bleibt die Stimmung im Haus kämpferisch. „Wir lassen uns auf keinen Fall hier rausschmeißen. Wir kämpfen weiter“, sagt Syrbe. Erste Aktion soll schon mal sein, das Spendenkonto des Vereins in den öffentlichen Fokus zu rücken. Auch wenn angesichts der Höhe des benötigten Betrags eine derartige Sammelaktion wie eine Herkulesaufgabe erscheint.

Doch bei der Stillen Straße scheint nichts mehr unmöglich, wenn man mal dort die vergangenen zwei Jahre betrachtet. Mittlerweile gehen hier etwa 300 Rentner ein und aus, die sich hier seit 1998 zum Skat und Schachspiel treffen, „Power-Fitness mit Musik“ besuchen oder an Bildungsseminaren teilnehmen. Sie haben mit ihrer Hausbesetzung gezeigt, was ehrenamtliches Engagement schaffen kann.

„Als wir vor zwei Jahren die drohende Schließung des Hauses durch Hausbesetzung verhinderten, waren wir noch Amateure. Heute sind wir Profis“, sagt Doris Syrbe und droht dem Bezirk bei einer erneut anstehenden Schließung mit internationaler Mobilisierung. „Wir sind wieder auf Protestmodus umgeschaltet. Jetzt geht es um unsere Existenz“, sagt sie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.