Geflügelzucht in Brandenburg: Zweimal 39.990 Hühner

In Brandenburg breitet sich die Massentierhaltung aus. Die Zahl der Tiere nimmt zu, Ställe werden üppig gefördert. Doch es regt sich Protest.

Bei Anlagen unter 40.000 Tieren ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Bild: dpa

STERNHAGEN/ EBERSWALDE taz | Der Wind treibt Schwärme von Möwen über das Land, und die Luft ist schwer vom Geruch feuchter Erde, als Johanna Michel und Dirk Preuß in ihr Auto steigen und tief hineinstoßen in diese Welt, in der alles still ist, einsam und weit. Sie lassen das Dorf hinter sich; der Horizont dehnt sich. Nach wenigen Minuten halten sie, hinter ihnen folgen in einem Pickup zwei weitere Leute, Nachbarn, Verbündete.

Die Uckermark ringsum sieht an diesem Morgen aus wie eine grün-braun aquarellierte Federzeichnung, die Hügel, die kahlen Bäume, da und dort Tümpel, verborgen im Schilf. Aber gleich neben der Straße teilt ein Bauzaun das Land; die Erde ist aufgerissen, eine Planierraupe parkt an der Böschung. Die vier stehen eine Weile still da, in dicke Winterjacken gepackt. In ihren Augen bedeutet diese Baustelle eine Bedrohung für die Naturidylle dieser Region: Der Unteruckersee liegt in der Nähe und das Naturschutzgebiet Charlottenhöhe. Nun soll hier ein Freilandstall für 39.990 Legehennen entstehen, und knapp 500 Meter weiter wird eine zweite Anlage für weitere 39.990 Hennen gebaut.

Johanna Michel, Dirk Preuß und die anderen haben deswegen die Bürgerinitiative „Contra Industrie-Ei Uckerseen“ gegründet. „Wir wollen hier nicht so eine Industrielandschaft haben“, sagt Dirk Preuß, „die das, was wir hier haben, zerstört.“ Was sie noch mehr aufbringt, ist, dass sie nicht einmal das Recht haben sollen mitzusprechen.

Denn bei Anlagen unter 40.000 Tieren ist weder die Beteiligung der Öffentlichkeit vorgeschrieben noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Nahe Sternhagen werden bald knapp 80.000 Hennen leben – aber in zwei Betrieben, „Ucker Ei“ und „Ucker-Zwei-Legehennen“, die jeweils knapp unter dem Schwellenwert liegen. Die eine Anlage hat der ortsansässige Landwirt Jürgen Mittelstädt beantragt, die andere seine Frau Kerstin. Ein Trick, um die Gesetze auszuhebeln, sagen ihre Gegner.

Für manche eine Lebensgrundlage

Hanka Mittelstädt, die Tochter, weist die Vorwürfe zurück: „Wir wollten zwei autarke Anlagen bauen, um uns den Konsumenten besser anpassen zu können.“ So könne etwa ein Betrieb leicht auf Ökoproduktion umgestellt werden. Allerdings räumt sie ein, dass ihre Familie die Marke von 40.000 im Kopf hatte. „Sie fahren ja auch nicht mit 80 durch die Ortschaft, sondern mit 50 oder 55.“ Mit den Anlagen solle dafür gesorgt sein, dass der elterliche Hof ihr und ihrem Bruder in Zukunft noch eine Lebensgrundlage bieten kann. „Wir haben beide Landwirtschaft studiert“, sagt sie, „und wir wollten beide zurück.“

Nicht nur in der Uckermark, überall in Deutschland regt sich dieser Tage der Widerstand gegen die Massentierhaltung. Sobald irgendwo neue Ställe geplant sind, formieren sich Proteste. Nur nimmt der Konflikt in Brandenburg derzeit an Dynamik zu. Denn bislang war die Dichte an Tieren dort vergleichsweise gering; seit etwa fünf Jahren aber wachsen die Zahlen rapide: 2010 gab es 2,8 Millionen Legehennen. Heute sind es 3,8 Millionen. Die Menge der Masthühner ist um 660.000 auf 4,5 Millionen gestiegen. Plätze für 1,2 Millionen weitere Hühner sollen bereits genehmigt worden sein.

Johanna Michel, Dirk Preuß, Barbara Schindler und Matthias von Golaszewski fragen sich, welche Folgen das für sie haben wird. Sie haben sich in die Küche des Hofs gesetzt, der von Golaszewski gehört. „Es ist ein Interessenkonflikt, das spielt auch eine Rolle: Uns geht es hier um sanften Tourismus“, sagt Johanna Michel. Sie und ihr Mann arbeiten in Berlin, sie als Hochschullehrerin, er als Bauingenieur. Die Sehnsucht nach der Natur hat sie in die Uckermark gezogen. Ganz in der Nähe haben sie ein Holzhaus bauen lassen, das Architekturpreise gewonnen hat. Das vermieten sie an Touristen. „Die kommen ja genau deswegen hierher: wegen der tollen Landschaft, der Stille“, so Preuß.

Was also, wenn die Hühner kommen und mit ihnen Gestank, Keime, Lärm? Auch von Golaszewski fürchtet, dass die Ställe seine Existenz zunichtemachen könnten: Er ist Bauer, lebt aber mehr vom Tourismus als vom Ackerbau. Er hat einen zweiten Hof, auf dem er Gästezimmer anbietet, gegenüber von einem der Standorte. Neben ihm sitzt Barbara Schindler, die in Berlin eine PR-Agentur führt und im Mai einen Hof im Nachbarort gekauft hat. „Uns geht es auch ums große Ganze“, sagt sie. „Wenn da einer kommt mit solchen Anlagen, kommt vielleicht noch einer und noch einer.“

Ortsfremder Unternehmer

Dass die Massentierhaltung sich ausbreitet, ist politischer Wille in Brandenburg. Landwirtschafts- und Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) hat schon oft gesagt, dass es seiner Ansicht nach noch zu wenige Tiere gibt. Es kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu: In anderen Bundesländern, vor allem in Niedersachsen, gibt es kaum noch Platz für neue Anlagen. Wegen der hohen Dichte an Tieren ist die Belastung in einigen Regionen so hoch, dass keine Genehmigungen mehr erteilt werden.

In der Folge suchen Investoren aus Niedersachsen, ebenso wie aus Holland, nach Standorten in Ostdeutschland. Auch im Fall der zwei Anlagen in der Nordwestuckermark ist ein ortsfremder Unternehmer beteiligt: Theodor Veddern, Inhaber einer Hühnerfarm im Emsland, ist in beiden Betrieben als Geschäftsführer eingetragen. Die Familie Mittelstädt will nichts zur Rolle Vedderns sagen. Massentierhaltungsgegner wie der Aktivist Matthias Rackwitz, der im Kreis Dahme-Spreewald gegen einen geplanten Legehennenstall kämpft, sagen, dass die Investoren gezielt nach ortsansässigen Bauern mit großen Flächen suchen: „Es geht ihnen darum, vor Ort Akzeptanz zu gewinnen. Zudem brauchen sie die Flächen, um den Kot loszuwerden.“

Sie wollen keine Massentierhaltung in ihrer Region: Barbara Schindler, Johanna Michel und Matthias von Golaszewski (v.l.n.r.). Bild: Gabriela Keller

Theodor Veddern bestreitet diese Absicht. An den Anlagen der Mittelstädts sei er nur beteiligt, um seine Erfahrungen weiterzugeben, sagt er: „Die Leute haben mich angefragt. Ich bin dazugekommen, als die Pläne schon fertig waren.“ Doch Veddern ist bereits an drei anderen Hühnerfarmen in Brandenburg beteiligt. Auf der Website seiner Beratungsfirma Agriconsult Veddern steht eine Anzeige: Es werden „landwirtschaftliche Betriebe“ gesucht, die für „vorgemerkte Kunden Legehennenhaltung übernehmen“. Deswegen fürchten Kritiker, dass sich noch andere, größere Firmen hinter dem Unternehmer verbergen.

Und was ist mit Naturschutz?

Der BUND Brandenburg hat Widerspruch gegen die Entscheidung der Behörden eingelegt, die zwei Hühnerfarmen als getrennte Betriebe zu werten. „Es gab keine öffentliche Bekanntgabe, keinen Erörterungstermin, und der BUND wurde daran gehindert, seine Rechte wahrzunehmen“, sagt Axel Heinzel-Berndt von der Landesgeschäftsstelle in Potsdam. Auch der BUND hatte bisher keine Chance, seine Einwände vorzubringen. „Es gibt ernste Hinweise, dass Belange des Naturschutzes unzureichend berücksichtigt wurden.“ Direkt auf der Fläche, die als Auslauf dienen würde, gebe es Feldsölle, Tümpel, die während der Eiszeit von Gletschern geformt wurden. Darin leben bedrohte Amphibien wie die Rotbauchunke. Diese Biotope, sagt Heinzel-Berndt, „werden total beeinträchtigt, wenn ringsum Legehennen sind.“

Verantwortlich für die Genehmigungen ist das Landesumweltamt, das zum Landwirtschaftsministerium gehört. Es gebe keinen Grund, die zwei Betriebe als Einheit zu veranschlagen, schreibt ein Sprecher per E-Mail: „Da die Anlagen nicht in einem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen, erfüllen sie nicht die Voraussetzungen für eine gemeinsame Anlage.“

Dass das Landesamt keinen Zusammenhang sieht zwischen den Hühnerfarmen der Eheleute, ist für Axel Vogel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Brandenburger Landtag, nicht nachvollziehbar. „Das ist ja Verarsche“, sagt er. Vogel sitzt im Bürgerbüro der Grünen in Eberswalde; vor sich hat er Dokumente und Listen ausgebreitet. Im August hat er eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, um zu erfahren, wie hoch die Massentierhaltung mit Steuergeldern bezuschusst wird.

Grenzwerte-Beschiss

So kam heraus, dass das Land seit 2009 70 Millionen Euro für den Bau neuer Großställe bewilligt hat. Der größte Teil, 13,2 Millionen, floss in den Kreis Uckermark. „Das sind horrende Zahlen. In der Größenordnung gibt es das im Westen nicht.“ Mit bis zu 40 Prozent werden die Anlagen gefördert; für die Hühnerfarmen der Mittelstädts gibt es je rund 630.000 Euro. Vogel blättert in seiner Tabelle, darin sind alle Großställe Brandenburgs aufgelistet. Bei den Hühnerbetrieben liegt die Zahl der Plätze auffällig oft knapp unter 40.000. „Das ist so, wenn ich Grenzwerte habe“, sagt Vogel. „Das öffnet dem Beschiss Tür und Tor.“

In Sternhagen glimmt diesiges Herbstlicht über verlassenen Straßen; rechts und links liegen lose hingewürfelt Giebelhäuser aus Backstein; eine Kirche ragt an einem kleinen Platz auf. In der Küche eines Bauernhofs steht ein junger Landwirt, der anonym bleiben will. „Auch Massentierhaltungsanlagen müssen irgendwo stehen“, sagt er, „aber ob es nun gleich zwei sein müssen, nahe einem ökologisch sensiblem Gebiet?“ Die Stimmen, die am lautesten gegen die Projekte protestieren, gehören stadtflüchtigen Berlinern. Doch auch vielen Einheimischen gefällt die Vorstellung nicht, künftig in der Nähe zweier Intensivhaltungsanlagen zu leben.

„Aber die haben nie gelernt, den Mund aufzumachen“, sagt der junge Landwirt. Allerdings leben in der Region auch Befürworter, die glauben, dass die Projekte dieser Region wirtschaftlich Auftrieb geben werden. Und so geht es bei dem Streit auch um die Frage, was Vorrang hat: die Schönheit der Natur, wegen der die Urlauber kommen? Oder die Interessen derer, die dort Geld verdienen wollen?

Der Landwirt hat selbst Geflügel, 500 Tiere, Enten, Gänse. Mit der Ferienwohnung, die er an Angler vermietet, kommt er gut über die Runden. Er ist kein Öko, sondern konventioneller Bauer. Aber auch er hat Bedenken; er sorgt sich vor allem über Keime, die sich in den Massenhaltungsanlagen ausbreiten und auf seinen Hof übergreifen können. Er schüttelt den Kopf. „Hier in Sternhagen ist keiner dafür“, sagt er. „Wir sind zu nahe dran.“

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