Rätselhafte Skulpturen in Esslingen: Wassergott im Zimmerbrunnen

Die Objekte des französischen Künstlers Mathieu Mercier sind nicht, was sie vorzugeben scheinen. Die Villa Merkel in Esslingen zeigt einige Werke.

Installationsansicht des „Diorama“ von Mathieu Mercier. Bild: Villa Merkel

Ein bisschen auf den Arm genommen fühlt man sich zunächst schon. Da betitelt Mathieu Mercier seine Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel „Everything but the kitchen sink“, also sinngemäß „Alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, und dann begrüßt einen statt der erwarteten Kleinteiligkeit ein Monument: „Last Daybed“, eine Recamiere in minimalistisch-modernem Design, allerdings aus dem Marmorimitat Corian gefertigt, wodurch die Arbeit eher an Napoleons Krypta im Invalidendom erinnert als an ein komfortables Ruhemöbel.

Von dort wandert das Auge direkt weiter zu einem weiteren bekannten Alltagsmöbel, dem luftbefeuchtenden Zimmerbrunnen. Ihn hat der Künstler für seine Arbeit „Wasserfall“ auf raumfüllende Dimensionen vergrößert. Dieses Gemisch aus Sockelzement und Styropor mutet wegen der Größe an wie ein alttestamentarischer Abgott. Allerdings wird diese Erhabenheit durch die Abkunft vom putzigen Bürogimmick direkt wieder neutralisiert.

Der Wasserfall korrespondiert mit der reduzierten, im Obergeschoss gezeigten Arbeit „Zigarette“. Sie besteht aus einem hölzernen Podest mit einem Aschenbecher samt glühender Zigarette, die sich bei näherer Inspektion allerdings als Fake herausstellt. Ebenso wie das darunter befindliche Podest, das ein unauffälliger Raumbefeuchter ist. Der Augenschein trügt, befeuchtet das Arrangement doch die Luft, statt sie vollzuqualmen.

Mercier beliebt also zu Scherzen. Daei sind seine Scherze zu keinem Zeitpunkt beliebig oder enden unbedingt mit der Pointe. Objekte sind bei ihm niemals das, was sie vorzugeben scheinen. Was im Zusammenhang mit Kunstobjekten eine Binsenweisheit sein mag, trifft auf die Kunst des 1970 geborenen Franzosen in besonderem Maße zu.

Keine hohle Nachahmung von Duchamp

Schließlich überführt Mercier nicht einfach profane Alltagsgegenstände in den institutionellen Rahmen der Kunst, was nicht mehr wäre als eine hohle Nachahmung von Marcel Duchamps epochaler Geste, mit der er ein Pissoir zum Brunnen erklärte.

Stattdessen durchstreift Mercier unsere ästhetisierte Gegenwart auf der Suche nach eigentlich vertrauten Gegenständen, die eben diese Behauptung, etwas anderes zu sein, bereits in sich tragen. Mit kindlichem Enthusiasmus und manischer Sammelleidenschaft trägt er Fallbeispiele zusammen, die zeigen, wie der Duchampsche Objektwitz aus den weihevollen Hallen des Museums in die Alltagskultur gesickert ist.

Heerscharen von Produktdesignern haben in Readymades verwandelt, was nicht niet- und nagelfest ist: Kondome in Radiergummis übertragen, Pfeffermühlen in Weinflaschen übersetzt, Coladosen in Sparschweine verwandelt.

Merciers Sammlung solcher Artefakte von anonymen Nachahmern Duchamps füllen als work in progress in Esslingen drei große Vitrinen. Tatsächlich verliert man sich schnell in dieser Fülle an gefundenem Material, das im Nachvollzug des Readymade-Konzepts die Ästhetisierung des Alltäglichen vorangetrieben hat.

Falsche Amphibien

Doch sofort stellt sich die Frage, ob Mercier hier eine Aufwertung durchdesignter Waren betreibt, indem er sie im Museum zeigt. Oder in der Schönheit der Warenwelt schwelgt, wie es die Pop-Art betrieben hat. Beides kann getrost verneint werden. Die Kämpfe zwischen den Kulturen von High und Low sind nicht Merciers Thema.

Ihn interessiert vorrangig die durch einen ungeklärten Objektstatus hervorgerufene Wahrnehmungstäuschung, wie die Schlüsselarbeit „Diorama“ verdeutlicht. Sie besteht aus einem üppigen, mit Erde befüllten Terrarium, in dem aus einem Erdhügel ein Aquarium herauragt, worin ein Axolotl-Pärchen haust.

Dieses hierzulande durch Helene Hegemann bekannt gewordene Tier unterscheidet sich von anderen Amphibien dadurch, dass es nicht metamorphiert: Es verlässt das Larvenstadium nicht und lebt stattdessen dauerhaft im Wasser. Obwohl Axolotl Amphibien sind, nach dem griechischen Wortstamm daher „doppellebig“ sein müssten, und obwohl Merciers Diorama übermäßig Erdfläche und sogar eine Rampe aus dem Wasser bietet, verbleibt das Pärchen im Wasser.

Damit darf der Axolotl als falsches Amphibium innerhalb der Ausstellung als Symbol für die Hybridität von Objekten herhalten, die vorgeben, mehr zu sein, als sie tatsächlich sind.

Bis 22. Februar, Villa Merkel, Esslingen.

Dass die Azteken den Axototl Wassergott nannten, verweist auf das Ur-Readymade „Fountain“, dessen Abkömmlinge Mercier in den Zimmerbrunnen unserer Büros gefunden hat. Doch muss man nicht Duchamp im Hinterkopf haben, die Ausstellung funktioniert auch so als unterhaltsame Schule der Aufmerksamkeit, die ein permanentes Grinsen hinterlässt. Mit was für wundersamen, absurden und oft auch schönen Gegenständen wir uns doch umgeben!

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