Langstrecken-Staffellauf in Nippon: „Wir Japaner lieben es“

Ganz Japan schaut beim Staffellauf über fast 220 Kilometer zu. Für mittelmäßige Studenten bietet das Hakone Ekiden die Chance auf einen guten Job.

Wird live im TV übertragen: der Hakone Ekiden in Tokio. Bild: imago / Aflosport

TOKIO taz | Nach durchzechten Nächten um den Jahreswechsel fällt es vielen Japanern schwer, noch gut in den Tag zu kommen. Viele liegen dann so lange im Bett, bis sie der Lärm des Verkehrs oder einzelne Autokorsos mit Produktwerbung in die Senkrechte trommeln. Am 2. Januar aber sieht die Sache anders aus, jedes Jahr. Ein Japaner, der etwas auf sich hält, muss dann trotzdem am Vormittag mindestens vorm Fernseher sitzen. Egal, ob man Sport betreibt, ihn verfolgt oder eigentlich jede unnötige Bewegung verabscheut.

Immer an den ersten zwei Tagen nach Neujahr läuft Japans junge Rennelite über 217,9 Kilometer eine mittlerweile legendäre Staffel. Sie geht bergauf und bergab, gegen starke Winde, eisige Temperaturen und durch einige der kurvigsten Gebiete des Landes. Die zehn besten Läufer verschiedener Universitäten Japans sind dabei, jeder von ihnen läuft eine Etappe mit dem Staffelholz. Kommt einer deutlich später an als die Konkurrenz, scheidet die ganze Mannschaft aus.

Es ist auch ein Sinnbild für viele rigorose Regeln in Japans Alltag. Und vielleicht ist der Lauf auch deshalb so sagenumwoben. Das „Hakone Ekiden“ ist das beliebteste Rennen des Landes. Und Japan gilt als eine euphorische Laufnation. Wer sich auf hiesigen Straßen umschaut, wird zu jeder Jahreszeit Hobbyläufer sehen, bei Olympischen Spielen gehören japanische Langstreckenläufer fast immer zu den Favoriten.

Eine der Ursachen dieser Begeisterung sind eben die in Japan so beliebten Staffelläufe, allen voran dieses Rennen von Hakone nach Tokio. Beim ersten Hakone Ekiden 1920 nahmen nur vier Universitäten à zehn Läufer teil. Heute sind die Topathleten von 20 Hochschulen dabei. Nach wie vor dürfen nur Männer teilnehmen, obwohl der Laufsport längst auch unter Frauen beliebt ist.

Fünf Läufer einer Mannschaft starten am 2. Januar, über je eine der fünf Etappen, die nach Länge leicht variieren, aber alle ungefähr der Halbmarathonstrecke von gut 21 Kilometern entsprechen. Die anderen fünf Läufer starten am 3. Januar. Alle Zeiten werden zusammengerechnet – das Team mit der geringsten Zeit hat gewonnen. Die besten zehn Mannschaften sind für das kommende Jahr gesetzt.

Studenten, Betriebssportler, Profiathleten

Der Name Ekiden ist eine Schöpfung aus „eki“ (Station) und „den“ (übertragen, übermitteln). Beim ersten solchen Rennen überhaupt, im Jahr 1917, sollte damit an den 50. Jahrestag des Wechsels der Hauptstadt von der weiter westlich gelegenen alten Kaiserstadt Kioto zur Metropolregion Tokio erinnert werden. Drei Tage dauerte der Wettlauf damals, erstreckte sich über 507 Kilometer – die genaue Entfernung zwischen den beiden Städten.

Yomiuri Shimbun, Japans größte Tageszeitung, sponserte die Veranstaltung. Auch deshalb konnte die Gattung der Ekiden über die Jahre zu einem Spektakel werden. Heute gibt es Ekiden-Läufe das ganze Jahr über. Universitätsmannschaften, Betriebssportler und Profiathleten nehmen teil, und es geht nicht nur darum, die Ziellinie als Erster zu überqueren. Für die einen kann ein gutes Abschneiden die Beförderung im Job bedeuten, für andere der Sprung in den Profibereich.

„Mittelmäßige Studenten schaffen es als gute Ekiden-Läufer auch in die großen Unternehmen, die gute Betriebssportmannschaften unterhalten“, sagt Tad Hayano, selbst passionierter Läufer und Organisator des Tokio-Marathons, der Städtelauf mit den weltweit meisten Bewerbungen. „Wir Japaner lieben das Laufen“, sagt Hayano zufrieden und fläzt sich in einem Sessel seines Büros, das in einem Hochhaus in Tokios Stadtteil Shinjuku steht. „Es gehört einfach zu uns.“

Seit die Marathonstrecken in Japan, die traditionell nur für die Elite gedacht waren, auch für andere Läufer geöffnet wurden, boomt der Laufsport überall im Land. „Das liegt daran, dass die Menschen hier schon immer gerne Laufsport gesehen haben, aber es sich nie zutrauten, selber mitzumachen.“ Die Faszination Dauerlauf reicht weit zurück. „Die Ekiden können dabei gar nicht unterschätzt werden“, sagt auch Hayano.

Vorsätze fürs neue Jahr

Als beliebtester Lauf wird das Hakone Ekiden jedes Jahr live durch das größte Netzwerk Japans, Nippon Television, übertragen. Beinahe jeder Japaner weiß zumindest, dass die Veranstaltung stattfindet, Millionen schauen vor den Bildschirmen zu. Auch die Strecken selbst sind gut besucht. Wie bei großen Marathonläufen drängen sich die Zuschauer vom Rand auf die Straße, beklatschen die Athleten, bis diese schon wieder aus der Sichtweite verschwunden sind.

Auch für die Läufer selbst ist gerade das Hakone Ekiden jedes Jahr ein wichtiger Termin, weil sich hier regelmäßig Scouts einfinden, die nach Talenten suchen, die Profis werden könnten. Für andere, die sich draußen bei Frost die Beine in den Bauch stehen oder zumindest vorm Fernseher dabei sind, dient es häufig einfach als Inspiration.

Denn zum neuen Jahr nehmen sich auch viele Japaner vor, einige Dinge in ihrem Leben besser zu machen als zuletzt. Ein beliebter Vorsatz wie überall: mehr Sport. Das Hecheln der Athleten, deren Atem in die kalte Luft dampft und von denen einige während der Tage zuvor wahrscheinlich auch gern einfach nur gefeiert hätten, dient da als guter Ansporn.

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