Montesquieus Deutschlandreise: Unterwegs zu den Wilden und Groben

Die Notizen über Charles-Louis de Montesquieus Deutschlandreise sind voller Witz und Ironie. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen.

Im Jahr 1728 machte sich Montesquieu mit einer Kutsche auf die Reise durch Europa Bild: imago/Westend61

Es gibt Philosophen, die ihr gesamtes Leben an einem krähwinkligen Ort absitzen, und denen bei einem solchen Pflanzendasein nichts fehlt, da für sie ohnehin nur das Universelle, das überall das Gleiche ist, in Betracht kommt. So Immanuel Kant.

Es gibt aber auch Philosophen, die Tiefsinn nicht von Neugier trennen wollen. Charles-Louis de Montesquieu zählt zu dieser Art von Denkern. Er könne sich nicht vorstellen, schrieb der französische Aufklärer gelegentlich, dass jemand „ein Ding anzusehen lieben kann, ohne nicht gleich das Bedürfnis zu haben, auch ein anderes Ding anzusehen“.

Der Baron hatte einen ausgeprägten Sinn für Mannigfaltigkeit, und so wundert es nicht, dass das Reisen in seinem Leben und Schreiben eine wichtige Rolle spielte. In den berühmten „Persischen Briefen“ – einem Buch, das zum Kanon der französischen Schullektüre gehört – versetzte er sich in einen fiktiven persischen Touristen und konnte so die eigenen französischen Institutionen und Sitten aus der Ausländerperspektive heraus ins Groteske verfremden.

Und sein philosophisches Hauptwerk „Vom Geist der Gesetze“ ist in gewisser Hinsicht fast so etwas wie eine Politiktheorie aus dem Geiste des Reisens: Die klimatischen, geografischen und kulturellen Gegebenheiten der Länder, so analysiert der liberale Verfassungstheoretiker, seien Auslöser spezifischer Dynamiken, die die jeweiligen Gesellschaften zur Republik, zur Monarchie oder zur Tyrannei disponieren.

Charles-Louis de Montesquieu: „Meine Reisen in Deutschland 1728-1729“. Aus dem Französischen von H. W. Schumacher. Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 216 S., 22 Euro.

Das „Modell Deutschland“

Diese Eigenschaft, Andersheit anregend zu finden, veranlasste Montesquieu im Jahre 1728, als immerhin fast Vierzigjähriger sein komfortables französisches Edelmannleben in eine Postkutsche zu verfrachten und zu einer „Grand Tour“ in das europäische Ausland aufzubrechen. Auch die Länder des „Heiligen Deutschen Reiches“ hat er dabei ausführlich durchreist.

Das bei dieser Gelegenheit verfasste Tagebuch – ergänzt durch etliche Briefe – liegt nun in einer angenehm lesbaren Ausgabe erstmals auf Deutsch vor. Der Herausgeber und Vorwortverfasser Jürgen Overhoff interpretiert diese Deutschlandreise als Bildungserlebnis, das ausgerechnet einen Franzosen so etwas wie ein „Modell Deutschland“ hat entdecken lassen.

In der Tat wird der längst wieder zu seinem Gutshof in der Nähe von Bordeaux zurückgekehrte Montesquieu in einer einflussreichen Textstelle in „Vom Geist der Gesetze“ den Flickenteppich fast souveräner Einzelstaaten, aus denen das deutsche Reich sich damals zusammensetzte, zu einer „République fédérative“ aufwerten.

„Habe geklaut, Leute geschlagen“, rappt Schwesta Ewa. In der taz.am wochenende vom 3./4. Januar 2015 spricht die ehemalige Prostituierte über ihre Puffschäden, Freier als die wahren Nutten und ihre Kindheit in Kiel. Außerdem: Manchmal heillos zerstritten, aber eng verbunden. Kann man sich von seinen Eltern trennen? Ein Sohn erzählt von seinem Versuch. Und: Mehr Sport, weniger Nikotin. Jedes Jahr nehmen wir uns vor, bessere Menschen zu werden. Kann man Vorsätze einhalten? Mit Gastbeiträgen von Sasa Stanisic und Hans Söllner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das deutsche Reich erschien ihm als eine „Gesellschaft von Gesellschaften“, die durch ihre intermediären Gewalten eine analoge „Begrenzung der Macht durch die Macht“ erreicht wie jene liberalen Verfassungen, die die von Montesquieu in den politischen Diskurs eingeführte Trennung von Legislative, Exekutive und Jurisdiktion festschreiben.

Die dummen Deutschen

Bei der Lektüre von Montesquieus Reiseeindrücken fallen allerdings nicht in erster Linie verfassungspolitische Überlegungen auf. Das Thema Gewaltenteilung interessieren ihn eigentlich nur, wenn er in den deutschen Reichsstädten beobachten kann, wie Protestanten und Katholiken – oft mit schildbürgerhafter Umständlichkeit – sich das Stadtregiment teilen. Bei seinen Begegnungen mit den deutschen Städtern neigt er schnell dazu, ins völkerpsychologische Stereotypisieren zu verfallen.

Unverkennbar schlägt der Edelmann, den er auch als Reisender nicht ablegt, durch, wenn er konstatiert, dass die Deutschen eigentlich auch zum Domestikenberuf zu dumm sind: „Wenn Sie ihnen einen Befehl geben, werden Sie sehen, dass sie lange vor sich hin träumen, um ihn so sich in den Kopf zu setzen, als ob Sie ihnen eine Rechenaufgabe gestellt hätten.“

Sein Hauptinteresse gilt den Höfen der deutschen Fürsten, die oft eher schlecht wegkommen. Der preußische Soldatenkönig ist ihm als unerträglicher Tyrann zuwider. Neben Einblicken in allerlei Menschliches und Unmenschliches im Treiben der damaligen Eliten findet man auch die im Wissenssystem eines Reisenden des 18. Jahrhunderts überraschenderweise als notierenswert eingestufte Information, dass der „Baron von Arzt, Vizegroßfalkner des pfälzischen Kurfürsten, die Prinzessin von Sulzbach fickt“.

Solche Textstellen zeigen, dass Montesquieus Reisenotizen den Reiz des Authentischen haben, aber von ihm selbst sicherlich nicht in dieser Form publiziert worden wären.

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