Geschichten von 1.001 Dingen

EIN SCHÖNES SAMMELSURIUM Das „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“ wird in diesen Tagen vierzig Jahre alt. Zum Geburtstag einer Einrichtung, die sich standhaft weigert, sich mit ihren Sachen letztgültig einzurichten

VON CLEMENS NIEDENTHAL

In Kreuzberg in der Oranienstraße geht es hoch in eine Fabriketage voller Vitrinenschränke. Darin drapiert finden sich einige tausend Dinge. Schlichtes und Schickes. Flüchtiges und Formvollendetes. Nippes und Nimbusträchtiges. Dort sieht man die Klassiker einer industrialisierten Warenkultur mit der reduzierten Ästhetik etwa der Radio- oder Rührgeräte des Braun-Designers Dieter Rams und die versachlichten Stapelstühle von Egon Eiermann. Ein demokratisches Design, distinguierte Dinglichkeit. Und da finden sich die vermeintlich profanen Fundstücke einer sogenannten Alltagskultur. Schlüsselanhänger, Souvenirartikel, Selbstgebasteltes. Kitschiges, Kinkerlitziges, Kontroverses.

Erst einmal aber sind hier im „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“ einfach Dingretter am Werk. Als etwa die sowjetischen Streitkräfte 1994 endgültig aus Berlin abgezogen waren, waren es eben die Mitarbeiter des Werkbundarchivs, die die verlassenen Kasernen nach den objektivierbaren Hinterlassenschaften durchforsteten. Nach Dingen jenseits der offiziellen Diskurse von Bruderstaat und Militärregime. Zusammengetragen wurde eine eindrückliche Sammlung selbst gebastelter Metallschrottantennen, denen 1996 eine eigene Schau, damals noch im Martin-Gropius-Bau, gewidmet war. Objekte, die an Totempfähle oder indianische Traumfänger erinnern. Tatsächlich hatten sie ja eine ganz ähnliche Funktion: Mit ihnen fingen die Soldaten mitten in Karlshorst oder Hohenschönhausen die russischen TV-Sender ein. Heimatfernsehen.

Aktuell beschäftigt sich Renate Flagmeier, leitende Kuratorin des Werkbundarchivs – Museum der Dinge, mit der eigenwilligen Dreidimensionalität jener Plastikinlays, wie man sie etwa aus Pralinenschachteln kennt. Kunststoffhügellandschaften, in die der Negativabdruck des darin verpackten Produkts unwiderruflich eingeschrieben ist, fast als sei das industriell gefertigte Konsumgut ein prähistorisches Fossil. Wieder eines dieser abseitigen, listigen und hintersinnigen Themen, aufgrund derer das Museum der Dinge zu so einem abseitigen, listigen und hintersinnigen Museum geworden ist. Oder sollte man sagen: so ein abseitiges Museum geblieben ist?

Renate Flagmeier findet dafür ein Bild aus der zeitgenössischen Unternehmenstheorie: „Jede neue Unternehmung beginnt mit einer Pionierphase, der dann irgendwann eine Etablierungsphase folgen sollte. Das Museum der Dinge hat sich seit 40 Jahren in immer neuen Pionierphasen eingerichtet.“ Wobei inzwischen jährlich rund 10.000 Besucher zumindest von einer gewissen Etablierung erzählen.

Vor 40 Jahren wiederum befand sich die Stadt in einer Pionierphase mit diesem seltsamen Westberlin, das Mauerstadt, Utopia, soziokulturelles Versuchslabor war. Die einen wollten Geschichte schreiben. Andere die Art und Weise verändern, in der bis dato über Geschichte gedacht und geschrieben wurde. Alltagsgeschichte statt Herrschaftsgeschichte. Wildes Denken statt disziplinierten Akademiebetriebs – aus diesen Impulsen heraus gründete sich vor 40 Jahren also auch das Werkbundarchiv. Im April 1973 entschied der Berliner Senat positiv über dessen künftige institutionelle Förderung.

Von den zentralen Figuren hinter der Gründung sei exemplarisch der in diesem Januar verstorbene Pädagoge und Kunsthistoriker Diethart Kerbs genannt. Auch weil Kerbs – ab 1964 Initiator der legendären Chansonfestivals auf der hessischen Burg Waldeck und von 1980 an Professor an der Berliner Hochschule der Künste – für jene Impulse und Diskurse steht, auf die sich das Werkbundarchiv gegründet hat. Allen voran die Begeisterung für die Avantgarde- und Reformbewegungen des jungen 20. Jahrhunderts, von denen auch der 1907 gegründete Deutsche Werkbund eine war.

Anarchistischer Blick

Dennoch war die Liaison des (West-)Deutschen Werkbundes und seiner Westberliner Archivare alles andere als konfliktfrei. Dort der Werkbund, diese an der Schnittstelle von Kunsthandwerk und Industriekultur, von schöner Form und rationalisiertem Produkt entstandene Gestaltungs- und Geschmackinstanz. Geprägt von Figuren wie Henry van der Velde oder dem AEG-Formgeber Peter Behrens. Gekennzeichnet von einem aufgeklärten, aber immer auch ein wenig patriarchalem Unternehmertum. Und hier die Werkbundarchivare mit ihrem stets politischen, oft auch anarchistischen Blick auf die Warenwelt.

Eine Chronik des Werkbundarchivs im Schnelldurchlauf: Archivräume und erste Ausstellungen in Charlottenburg, in einem Dachgeschoss in der Schloßstraße. 1981 ebendort „Wenn bei Capri die rote Sonne versinkt – In den Warengebirgen der 50er Jahre“, eine Schau, die die Ausstellungspraxis buchstäblich zum Tanzen bringen sollte: Die Musiktruhe wurde angeworfen, und inmitten der Exponate Rock ’n’ Roll getanzt. Was aber damals mit den eigenmächtig agierenden Besuchern und dem Museum als körperlicher Erfahrung revolutionär war, gehört heute zum Mainstream einer spätmodernen Erlebniskultur.

Längst weiß niemand mehr so recht, ob das nun ein Oldtimertreffen oder doch schon ein Technikmuseum ist. Oder ob nicht gar ein Flohmarkt zu einer weitaus aufschlussreicheren Ausstellung taugt. Spätestens mit dem 1986 erfolgten Umzug in den Martin-Gropius-Bau reagierte das Werkbundarchiv auf diese Ambivalenz der Dinge und ihrer diskursiven Verortung. „Alchemie des Alltags“ hieß in diesem Sinne die erste, programmatische Schau in den neuen Räumen. Fortan wurde es den Dingen immer öfter überlassen, ganz für sich allein zu sprechen, mal als assoziative Rauminstallation, dann wieder als streng drapierte Regalware.

Zwangsläufig demnach, dass das Ding mit in den Titel kam. Seit 1996 heißt das Werkbundarchiv auch und vor allem „Museum der Dinge“. Ein schöner Name für einen Ort, an dem es um die Sachen und manchmal auch zur Sache geht.

Den endgültigen Auszug aus dem Gropius-Bau im Jahr 2002 konnte indes der neue Name auch nicht verhindern, und nicht die ungewisse Zeit danach für das Museum, in der man nicht nur neue Räume suchte, sondern dazu nach einem runderneuerten Selbstverständnis, diese zu füllen.

Seit 2007 ist man nun in der Oranienstraße zu Hause. „Dichter am Leben“, so Renate Flagmeier. Und dichter an den Dingen, die seitdem als permanente Schausammlung in den Vitrinen liegen. Als vielstimmiger Chor der Warenangebote.

■ Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Oranienstr. 25. Freitag–Montag 12–19 Uhr. www.museumderdinge.de