Die Wahrheit: Die Verwandten sind da!

Flowerpower revistited: Aus dem Tagebuch eines botanisch über jede Gebühr Verzweifelten (Teil 2).

Bild: Leo Riegel

Im letzten Sommer veröffentlichten wir hier ein „Zimmerpflanzentagebuch“. Jetzt erreichte uns Teil zwei der Saga vom gar nicht so grünen Daumen. Was bisher geschah: Venusfliegenfalle als Ordnungshüter gegen unkontrollierbare Zimmerpflanzen angeschafft; Proteste der Altpflanzen eskalieren. Rückführung unmöglich, da Venusfliegenfalle kluge und belesene Gesprächspartnerin; am Ende Einigungschaos mit unfähigem Mediator: gemeinsamer Feind schweißt zusammen! Glückliches Ende.

2. November

Lange vorbereiteter Selbstversuch der Venusfliegenfalle: vegane Ernährung. Trotz gewisser Zweifel assistiert, wo möglich: Zucchinistückchen zugeführt. Geschmack anscheinend annehmbar. Verträglichkeit aber ungewiss.

5. November

Forderung der Kakteen nach Tageslichtlampe. Argumente: "Winterdepression" und „nicht das erste Mal“. Begonien stimmen in Klagelied ein. Ficus erbietet sich, auf Smartphone zu suchen. Nix da. Gerät einkassiert. Hektische Blicke. Im Rausgehen Ficus sagen hören: „Was machen wir denn jetzt?“ Total handyfixiert, die Jugend.

8. November

Venusfliegenfalle reagiert nicht auf Ansprache; Verdauung noch nicht abgeschlossen? Kaum hörbares Rumoren. Gibt zu denken.

9. November

Früh von lautem Krachen aufgewacht. Topf der Venusfliegenfalle am Boden zerborsten. Durchdringendes Wimmern. Pflanze aufgeklaubt. Völlig verwirrt, das arme Ding: hält mich für ihre Biologielehrerin. Vegane Kost eindeutig nicht geeignet. Behutsam neu eingetopft. Leckerbissen aus Insektendose. Andere Pflanzen in Kommuniqué informiert.

10. November

Grauer Tag. Venusfliegenfalle lässt Blätter hängen. Flache Atmung. Verlasse Küche nur zum Pinkeln.

11. November

Dramatische Verschlechterung: Einzelne Blätter der Venusfliegenfalle fast abgefallen! Das Netz rät zu kombinierter Wasser- und Lichttherapie. Wasser sofort eingekippt. Licht: Fehlanzeige; trübes Regenwetter. Zum Elektromarkt gerast: Tageslichtlampe. Jetzt doch. Preis egal. Gleich installiert. Gemecker der Kakteen im Keim erstickt. Ficus will reden; es sei dringend. Jetzt nicht.

12. November

Anflug von Erholung!? Insektenverdauung offenbar im Gang. Durchatmen. Stimmungsaufhellende Wirkung der Tageslichtlampe.

16. November

Morgendliche Überraschung: Venusfliegenfalle hat schon die Zeitung gelesen und will über Pegida diskutieren. Glücksgefühl. Umarmung versucht.

19. November

Sonne. Beim Verstauen der Tageslichtlampe von Kakteen überrascht: Entweder Tageslichtlampe oder Urlaub im Süden für alle. Sogar Finanzierung angedacht: Straßenmusik der Usambaraveilchen. Tageslichtlampe wieder ausgepackt. Zufriedene Kakteengesichter. Ficus fuchtelt nervös; will Smartphone zurück. Soll ruhig schmoren.

22. November

Ups, Smartphone des Ficus in Küchenschublade entdeckt. Schnell Whatsapp durchgeblättert. 124 neue Nachrichten! Unverständliches Zeugs, viele Fragezeichen; Kommunikation mit malaysischen Verwandten? Venusfliegenfalle auch ahnungslos. Bei Rückgabe recht versöhnliche Stimmung. Ficus: „Wurde aber auch Zeit.“ Sofort höchst hektisches Tippen.

23. November

Geschnatter im Wohnzimmer. Bruchstücke aufgeschnappt: „Ankunft“, „Besichtigungsprogramm“, „Vollpension“. Etwa doch Urlaub? Tür geöffnet, Stille. Hüsteln der Begonien. Ficus setzt zum Sprechen an. Fahre ihm über den Mund: „Urlaub könnt ihr euch abschminken.“ Tür zugeknallt. Umgehend Gewissensbisse. Konsultiere Venusfliegenfalle. Diskussion über Sinn und Unsinn von Grenzen.

24. November

Pflanzen bereits zu nachtschlafender Zeit wach. Rumoren. Leises Lachen. Jetzt reichts aber. Bademantel vom Haken genommen, da klingelt es auch noch. Sechs Uhr dreißig! Gewisper aus dem Wohnzimmer. Durch den Spion nichts zu sehen. Herzklopfen. Tür einen Spalt geöffnet, gehorcht. Rascheln. Flüstern. Tür mutig aufgerissen. Was? Im Treppenhaus ein Dutzend Ficusse, die fremdsprachlich durcheinanderreden. Herrgottsakra aber auch: die Verwandten aus Malaysia!? Dann nur noch Schwärze.

Als ich zu mir komme, emsiges Umherwuseln. Ficus zeigt offenbar Gästen die Wohnung. Also doch kein Traum. Unter meinem Kopf ein Häufchen weiche Blumenerde. Sehr fürsorglich. Vorsichtiges Aufsetzen. Ein Gast überreicht Venusfliegenfalle eine Tüte Insekten „Asia Style“. Stimmung scheint herzlich. Sinke zurück auf den Boden.

25. November

Gastgeschenk der malaysischen Ficusse angenommen. Oh. „Greetings from Kuala Lumpur“: Modell der Petronas Towers. Erwartungsvolle Blicke. Artiger Dank. Gäste erleichtert; Heim-Ficus zerdrückt Träne. Versuch, Verwandtschaftsverhältnisse zu verstehen: anscheinend Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins unterschiedlichen Grades anwesend. Sekt aufgemacht. (Flüssigdünger für die anderen.)

Ausgelassene Stimmung in der gesamten Wohnung. Kichern der Begonien und Usambaras. Venusfliegenfalle zupft mich am Ärmel: Angeblich ist Ficus-Cousin mit zwei Begonien in der Abstellkammer verschwunden. Aha? Tür auf. Betretenes Hüsteln des Ficus, Rechtfertigung allerdings komplett unverständlich. Von Begonien keine Spur. Was solls. Tür zu. Nächsten Sekt auf.

26. November

Mittags aufgewacht. Kater. Abends kurz aufgestanden: Vielstimmiges Gelächter aus dem Wohnzimmer. Durch die Tür geblinzelt. DVD-Abend. „Der kleine Horrorladen“ mit malaysischen Untertiteln. Zurück ins Bett.

27. November

Hm. Gästeaufenthaltsdauer unklar. Ficus zur Rede gestellt. Herumdrucksen, dann Geständnis: Noch kein Rückflug gebucht. Aus allen Wolken gefallen. Halbe Wohnung für mich derzeit unbenutzbar! Gewieft: Ficus schlägt Untermietvertrag vor. Abgewiesen. Plan gefordert. Vorschlag der Venusfliegenfalle: Umverteilung der Gäste. Aber: Familie auseinanderreißen? In der Fremde?

28. November

Plenum gehalten. Gast-Ficusse peinlich berührt, wollen nicht zur Last fallen. Selbst peinlich berührt, denn Rauswurf des Besuchs letztlich unabdingbar. Rückreise? Umverteilung? Heim-Ficus dolmetscht. Gästerückzug zur Beratung. Ergebnis: Acht plädieren für Rückflug, vier wollen sich auf das (O-Ton) "Abenteuer Deutschland einlassen". Heim-Ficus bucht Flüge nach Kuala Lumpur, Abflug in vier Tagen. Erleichterung.

29. November

Kleinbus reserviert und gemeinsam mit Kakteen („Besichtigungsbeauftragte“) Stadtrundfahrt geplant. Wegen Aufnahme der vier verbleibenden Gast-Ficusse herumgefragt. Große Hilfsbereitschaft: In zwei Stunden alle untergebracht. Trotzdem gedrückte Stimmung. Usambaras improvisieren Deutschkurs für Hierbleiber.

1. Dezember

Stadtrundfahrt neugierig aufgenommen. Höhepunkt: Naturkundemuseum. Gäste besonders ergriffen von Tropendioramen - urplötzliches Heimweh. Auf der Rückfahrt ausnahmslos alle auffällig schweigsam.

2. Dezember

Ficus fährt als Einziger mit zum Flughafen. Überschwänglicher Dank der Gäste, herzliche Einladung zum Gegenbesuch. Nicht enden wollendes Winken.

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