Im Wettbewerb der Berlinale: Die Streichhölzer waren feucht

Einen Überschuss an schönem Quatsch und an symbolischem Theater bietet der russische Film „Pod elektricheskimi oblakami“.

Viel Weite in den Bildern von „Pod elektricheskimi oblakami“. Bild: Berlinale

Viele Menschen laufen durch die meist im Freien bei extremem Wetter gedrehten Bilder. Sie sprechen vor sich hin, beginnen Dialoge, die nirgendwo hinführen. Immer hat gerade jemand etwas verloren. Nasen bluten. Elektrische Geräte funktionieren nicht. In sieben Episoden wird mit viel Fleiß an Allegorien gezimmert, die in der Regel sagen: In Russland geht es nicht weiter.

Keine Zukunft, keine Utopien, nur unfertige Neubauruinen und wahnsinnig beschissenes Wetter. Bis zur Selbstparodie häufig wird auch konstatiert, dass es früher anders war. In Episode 3 wird dies sogar illustriert, denn hier träumt ein Anwalt für Grundstücksrecht von seiner Jugend in den Jahren der Perestroika.

Da hier aber auch Alexej German jr. Regie geführt hat, widerlegt er sich selbst: Es war früher gar nicht anders. Menschen laufen beziehungslos in Halbkreisen durchs Freie und sprechen mit anderen, aber eigentlich vor sich hin. Okay, das Wetter war unter Gorbatschow etwas besser.

Artifizielle Bedeutungsschwere

Trotz des oft gezeigten undurchdringlichen Himmels und vieler Seen, riesiger Baustellen, Brachen und anderer Bilder von Weite wirkt „Pod elektricheskimi oblakami“ („Under Electric Clouds“) sehr bühnenhaft. Der Soundmix präferiert die Dialoge und Monologe von artifizieller Bedeutungsschwere gegenüber dem Klang der Welt.

Dennoch pflügen die gemächlichen, schweifenden Plansequenzen ohne Halt durch das vielköpfige Ensemble. Locker zusammengehalten wird das Symboltheater von der Geschichte eines unfertigen Hauses, dessen Architekt, wie wir häufiger erfahren, verrückt geworden sei und versucht habe sich zu verbrennen: „Doch die Streichhölzer waren feucht.“

Bilder von der Berlinale vom taz-Fotografen Karsten Thielker.

Später lernen wir einen Architekten kennen, auf den die Beschreibung passt. Er wird von dem Schweizer Louis Blanck gespielt, der wie Gorbatschow ein sogenanntes Feuermal am Kopf trägt. Es wäre durchaus in der Symbollogik des Films, dass er deswegen gecastet wurde. Gorbatschow, der Architekt des „europäischen Hauses“, der verrückt geworden ist und dem beim Selbstverbrennungsversuch die Streichhölzer nass geworden sind. Solche Sachen werden einem hier zu denken gegeben.

Summende Mütterchen

Manchmal aber ist es auch richtig gut komisch. Ein ehemaliger Enthusiast, der sich vor 25 Jahren gegen die Panzer der Putschisten geworfen hatte, arbeitet heute in einem Museum als vielsprachiger Führer in einem Operettenkostüm. Einmal kommt er an zwei Volksweisen summenden Mütterchen vorbei. „Vor zweihundert Jahren hättet ihr mich mit ’Meister‘ angeredet und Lieder der Beatles gesungen“, ruft der promovierte Kulturologe ihnen zu. Sofort fangen sie an „Yesterday“ zu summen – das passende Leitmotiv zur vielstimmigen Verzweiflung im Matsch der Putin-Baustellen.

Auch schön, dass „Lambada“ einige Auftritte als Perestroika-Nostalgie-Hymne hat. Meist aber verläuft der Film nach dem Muster: Aus dem Off wird die Marseillaise gepfiffen. Jemand bastelt an einem Motorroller und flucht in das Pfeifen hinein: „Kaputt!“

Arthouse-schlechte-Laune-Kino

Das Problem, dass einfache und bekannte Diagnosen (Erbe der Französischen Revolution kaputt) von einem redundanten Symbolgewitter vertreten werden, verursacht allerdings auch einen nicht uninteressanten Überschuss an schönem und ungewöhnlichem Quatsch. Neben all dem Mainstream- und Indie-Standard, den man auf so einer Berlinale zu sehen bekommt, kann man dieses hochgezüchtete Kunstwollen, diese geradezu genrehaft „osteuropäische“ Arthouse-schlechte-Laune-Kino durchaus mögen. In gewissen Grenzen.

Wenn zum vierten Mal die kaputte(!) Lenin(!)statue ins Bild kommt und eine Protagonistin zu ihr sagt: „Hallo Statue, bist du auch so einsam?“, beißt man wieder in den Kinosessel des Vordermanns.

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