CDU-Kandidat für russlanddeutsche Wähler: Einer von uns

Als Elfjähriger kam Nikolaus Haufler 1995 aus Russland nach Deutschland. Seit vier Jahren sitzt er für die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft.

"Mein Name ist Nikolaus Haufler, ich bin Deputat des Hamburger Parlaments, bitte unterstützen Sie mich": Wahlkampf vor einem russischen Supermarkt. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der Mann mit der ledernen Schirmmütze ereifert sich: Diese Verrückten in der Ukraine, sagt er, „bis an die Zähne bewaffnet, mit Maschinenpistolen“. Seine Frau legt ihm eine Hand auf den Arm, damit er sich abregt, aber das gelingt nicht, nicht bei diesem Thema: „Die schneiden Menschen die Köpfe ab“, sagt der Mann mit der Schirmmütze. Nikolaus Hauflers Strategie ist da bereits gescheitert. Die klingt so: „Ich trete für das Hamburger Parlament an. Es geht um Hamburger Themen, um die Dinge, die wir hier bewegen können.“

Diese Strategie greift in diesen Tagen nur selten: Auch wenn er lieber über Rentenerhöhung, bezahlbare Wohnungen und die Anerkennung ausländischer Diplome reden will, führt Haufler lokalen Wahlkampf mit globalen Themen. „Solange Europa sich von den USA bestimmen lässt, gibt es keinen Frieden“, sagt der Mann mit der Schirmmütze düster, aber immerhin nehmen er und seine Frau sich einen Werbezettel mit und wünschen dem Kandidaten alles Gute.

Nikolaus Haufler, groß, schlank, jungenhaftes Lächeln, fährt sich durch die blonden Haare und tritt vorsichtig von einem Bein auf das andere. Er hat sich den Knöchel verknackst, neulich bei Glatteis. Das macht den Wahlkampf nicht einfacher, dennoch ist der 30-Jährige überzeugt, dass er gute Chancen hat, von Platz 23 der CDU-Liste auf einen Sessel in der Bürgerschaft vorzurücken. Es wäre seine zweite Wahlperiode. Wie schon vor vier Jahren setzt Haufler auf die Russlanddeutschen und die übrigen Russischsprachigen in der Stadt. „Es ist wichtig“, lautet sein Hauptargument, „dass einer von uns im Parlament sitzt.“

Zusammen mit seinem freiwilligen Helfer Boris Vildenberg verteilt Haufler Wahlzettel vor einem russischen Supermarkt im Stadtteil Lurup. Drinnen stehen eingelegte Pilze in den Regalen, das Malzgetränk Kwas und Pelmeni, die russische Variante der Tortellini. Die Beschilderung ist überwiegend auf Deutsch, aber in den Monitoren, die an der Decke hängen, laufen russische Werbespots. Ein mannshoher Aufsteller preist russisches Fernsehen an. Auch die Umgangssprache im Markt ist Russisch, außer die Kassiererin erkennt einen Kunden als Deutschen. „Man sieht das“, sagt sie schulterzuckend.

Rund 40.000 Russlanddeutsche leben in Hamburg, weitere 20.000 Menschen haben Russisch als Muttersprache. „Das ist konservativ geschätzt“, sagt Haufler. Diese 60.000 Menschen sind sein Klientel, und er versteht sich als einer der ihren: „Wir“ und „unsere Leute“, sagt Haufler oft, wenn er jemandem den Flyer mit seinen Forderungen, seinem Namen und Hinweis auf seinen Platz auf der Liste überreicht.

„Wir“ gegen „die anderen“, das ist ein typisch russischer Zugang zur Politik. Haufler nimmt die Rolle als Fürsprecher „seiner Leute“ ernst: „Meine Aufgabe ist es, so nahe wie möglich an den Problemen zu sein.“ Viele seiner Abgeordneten-Kollegen seien weit weg von den Themen auf der Straße. Hafenausbau, städtische Finanzen, Verkehr – die prominenten Schlagworte aus dem CDU-Wahlprogramm tauchen bei ihm nicht auf.

Stattdessen geht es um bessere Renten für „unsere Pensionäre“ nach dem Vorbild Nürnbergs: Dort dürfen Alte, die neben deutscher Grundsicherung eine Rente aus Russland beziehen, 50 Euro extra behalten. Nikolaus Haufler hat in der vergangenen Legislaturperiode zehn Euro gefordert und ist nur an der SPD-Mehrheit gescheitert. „Ich stelle den Antrag in der nächsten Periode wieder“, sagt er. Schon ziemlich weit gekommen sei er mit der Anerkennung ausländischer Diplome und Berufsabschlüsse – ein bundesweites interessierendes Thema, das alle Migranten betrifft, aber vor allem durch Russlanddeutsche vorangebracht werde, sagt Haufler.

Er war elf, als er 1995 mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder nach Deutschland kam. Er stammt aus Tscheljabinsk, einer Industriestadt im südlichen Ural, die zu Sowjetzeiten den Spitznamen „Tankograd“ trug, Panzerstadt, zu Ehren der Rüstungsfabriken. In den 90er-Jahren, als das Sowjetsystem, die Banken und die staatliche Wirtschaft zusammenkrachten, erlebte die 1736 gegründete Stadt eine ihrer „schwierigsten Phasen“, wie es heute auf der Homepage der Verwaltung heißt. Perestrojka, Aufbruch, Demokratie? „Was hat man davon, wenn sich keiner mehr auf die Straße traut, weil die Überfälle zunehmen, und wenn keiner mehr Geld für Lebensmittel hat“, fragt Haufler und wird fast heftig: „Es gab nicht viel Positives in den 90er-Jahren.“

Seine Mutter ist Russin, der Vater stammt von Deutschen ab, die im 19. Jahrhundert aus der Region Stuttgart auf die Krim ausgewandert waren. Seit der Zeit der deutschstämmigen Zarin Katharina der Großen warb das Russische Reich ständig Deutsche an, um die Gebiete zu besiedeln, von denen zuvor die Tataren vertrieben worden waren. Während des Zweiten Weltkriegs deportierte Stalin die Deutschen in entlegene Gebiete, aus Angst, sie würden sich mit Hitlers anrückender Armee verbrüdern. Bis weit nach dem Krieg war es gefährlich, Deutsch zu sprechen oder die deutsche Kultur zu pflegen.

Nikolaus Haufler, 1984 geboren, lernte Deutsch in der Schule. Als es die Möglichkeit gab auszuwandern, meldete die Familie sich an. Um sich vorzubereiten, klebten die Eltern überall im Haus Zettel mit Vokabeln an, um die verflixten unregelmäßigen Verben immer vor Augen zu haben. „Fechten“ fand er schwierig, sagt Haufler. Und „springen“. In Deutschland landeten die Hauflers in einem Auffanglager, zwei Zimmer für vier Personen. Nach einigen Monaten zogen sie nach Hamburg, wo sie sich mit einer anderen Familie eine Wohnung teilten.

„Wenn heute über Flüchtlingsunterkünfte gesprochen wird“, sagt Haufler, „kann ich mitreden.“ Ihm passt es nicht, dass andere Parteien, vor allem auf der linken Seite des Spektrums, „Flüchtlinge immer nur in der Opferperspektive sehen“. Es sei möglich, sich zu integrieren und Erfolg zu haben, sagt er trotzig. Er selbst war der Beste in der Vorbereitungsklasse, kam nach sechs Monaten aufs Gymnasium. Er wechselte zügig in Klasse 6, übersprang später die elfte. Studium der Wirtschaftsinformatik, obendrauf ein Master of Finance, heute arbeitet Haufler als Unternehmensberater. Seit er 17 ist, ist er in der CDU.

„Guten Tag, mein Name ist Nikolaus Haufler, ich bin Deputat des Hamburger Parlaments, bald sind Wahlen, bitte unterstützen Sie mich, vielen Dank!“ Die meisten Angesprochenen nicken, viele nehmen Zettel mit. Ja, es sei wichtig, dass „einer von uns“, ein Russischsprachiger, in der Bürgerschaft sitzt, sagt eine Frau. Wird sie wählen gehen? „Mal sehen“, sagt sie zögerlich. Haufler weiß, wie schwer es ist, „seine Leute“ zum Wählen zu überreden. Bei einigen liegt es am Ukraine-Konflikt: Ein Teil der aus Russland Zugewanderten lehnt es ab, die Merkel-Partei zu wählen, weil sie für Sanktionen und eine Anti-Putin-Haltung stehe. Andererseits gebe es auch einige wenige, die in Putin den Aggressor sehen, sagt Haufler. Wenn er selbst sich zum Thema äußert – und das muss er oft – sagt er als erstes, dass das Blutvergießen beendet werden solle und schließlich niemand ganz genau wisse, was im Kriegsgebiet passiere. Und er erzählt die Geschichte von dem Paar, das sich hat scheiden lassen, weil sie sich in der Ukraine-Frage nicht einigen konnten. Trotz der schwierigen Diskussionen sind Haufler die Streitbaren lieb: „Wenn jemand gegen meine Politik oder meine Partei ist – den kann ich überzeugen“, sagt er. „Viel schwerer ist, gegen das große Desinteresse anzukämpfen.“

Grundsätzlich passen die CDU und die Russlanddeutschen gut zusammen: Die Älteren erinnern sich voll Dankbarkeit daran, dass Helmut Kohl ihnen den Weg in die Heimat ihrer Vorfahren öffnete. Die Jüngeren haben die Werte der traditionellen CDU verinnerlicht: Leistung, Sauberkeit, Sicherheit. Durchaus möglich, sagt Haufler trotzdem, dass der eine oder andere diesmal sein Kreuz bei einer anderen Partei mache – „Protestwähler gibt es ja überall“.

Wieder hält er einem Paar, das aus dem Luruper Supermarkt kommt, seinen Flyer hin, bittet auf Russisch um ihre Stimmen. Die beiden schütteln die Köpfe. Sie kaufen zwar in dem Laden ein – die leckeren eingelegten Pilze und so – aber Russisch, das verstünden sie nicht. Haufler wünscht höflich einen schönen Abend. Den Zettel gibt er ihnen nicht. Es sind nicht seine Leute.

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