Nach den Anschlägen in Dänemark: Trotziger Frieden

Die Anschläge haben die Selbstzufriedenheit der Dänen erschüttert. Zehntausende Menschen kommen mit Fackeln zum Gedenken an die Ermordeten.

Dieser Däne beharrt auf Meinungsfreiheit. Doch es ist etwas faul im Staate Dänemark. Bild: dpa

KOPENHAGEN taz | Gelassen gibt sich Kopenhagen in diesen Tagen nach dem brutalen Doppelanschlag, dem am Wochenende zwei Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Polizei tritt, wenn überhaupt, so wenig martialisch wie überhaupt nur möglich in Erscheinung. Und doch sind Eruptionen plötzlicher Aktivität jederzeit möglich.

So auch in der Nacht auf Dienstag, als Polizeieinheiten in der Gegend um den Mjølnerparken im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro einen weiteren Verdächtigen jagen. Die Behörden vermeiden es zwar, von einem Netzwerk zu sprechen, ermittelt wird jedoch offenbar gegen einen größeren Personenkreis, die dem Attentäter geholfen haben sollen. Zwei weitere junge Männer befinden sich seit Montag in Untersuchungshaft. Sie werden verdächtigt, die Tatwaffe beschafft zu haben.

Keine 20 Minuten mit dem Bus vom Stadtzentrum entfernt sind die rot geklinkerten Sozialbauten rund um den Mjølnerparken ein Symbol für die Abspaltung einer sozial und nicht selten rassistisch diskriminierte Minderheit in der dänischen Gesellschaft. Fast alle Bewohner des Blocks haben familiäre Wurzeln außerhalb Dänemarks. In ganz Nørrebro machen Einwanderer und deren Nachkommen knapp ein Drittel der Einwohner aus. Die meisten kommen aus dem Nahen Osten, der Türkei und Pakistan, viele von ihnen identifizieren sich als Muslime.

Trotz aller Versuche in den vergangenen Jahrzehnten, durch städtebauliche Maßnahmen den multikulturellen Charakter des Viertels positiv herauszustellen, steht Nørrebro weiterhin im Ruf, ein sozialer Brennpunkt zu sein. Die dänische Presse greift immer wieder Geschichten über Jugendgewalt auf. Im Gegenzug wird von den Bewohnern eine rassistische Polizeipraxis beklagt.

Risiko bekannt: Der dänische Geheimdienst hat eingeräumt, von einer möglichen Radikalisierung des getöteten Attentäters von Kopenhagen gewusst zu haben. Während einer Haftstrafe des Verdächtigen hätten Strafvollzugsbehörden im September 2014 auf das „Risiko einer Radikalisierung“ hingewiesen, teilte der Geheimdienst am Dienstag mit.

In Haft verändert: Aussagen ehemaliger Freunde untermauern die These einer Radikalisierung in der Haft. Sie berichteten, der 22-Jährige sei nach seiner Haft „völlig verändert“ gewesen. Er habe sich einen Bart wachsen lassen und nur noch über Religion und den Krieg im Gazastreifen diskutiert und über den Traum, „ins Paradies zu gelangen“.

Gedenken unerwünscht: Im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro räumten vier vermummte Männer die dort in Gedenken abgelegten Blumen weg, da es „nicht dem Islam entspricht“. „Das war ein guter Mann“, sagte einer der Männer über den Täter.

Diese schon räumliche Abtrennung ganzer Bevölkerungsgruppen von der Mitte der Gesellschaft sieht Benjamin Abtan als Symptom des tieferliegenden und für die europäischen Metropolen typischen Problems. Als Gast war Abtan, der Präsident des europäischen Dachverbandes antirassistischer Initiativen, am Montag gemeinsam mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und dem Charlie-Hebdo-Kolumnisten Patrick Pelloux auf der Gedenkkundgebung am Ort des ersten Anschlags am Kulturcafé Krudttønden. Übersetzt heißt das ausgerechnet „Pulverfass“.

Selbstvergewisserung einer Gesellschaft

Ähnlich wie in Paris sieht Abtan nun auch in Kopenhagen eine Kundgebung der weißen, bürgerlichen Mitte. Diese Form der Selbstvergewisserung einer Gesellschaft, die nicht zur Kenntnis nehmen wolle, dass sie sich in den vergangenen Jahrzehnten unwiederbringlich verändert habe, werde ein Problem nicht lösen können, sagt Benjamin Abtan: dass sie Jugendlichen mit Migrationshintergrund keine visionäre Erzählung, keine Zukunft anbieten könne, die der Gewalt und dem Hass den Boden entzögen.

Tatsächlich wirkt die selbstsichere Ruhe und demonstrative Gelassenheit der Stadt fast schon trotzig. Ein Ort, an dem das Geschehen präsenter ist, ist jener für den Verkehr gesperrte Abschnitt auf der schmalen Krystalgade, wo Dan Uzan, ein Freiwilliger des Wachdienstes in der Nacht auf Sonntag vor der Synagoge erschossen worden ist. Unzählige Blumengebinde liegen dort, den ganzen Tag kommen neue hinzu. Passanten lesen schweigend die Dankesworte auf den Trauerkarten und warten geduldig auf eine Lücke zwischen den Menschen, um ein Foto machen können.

So auch Mette Christiansen, die mit ihrer achtjährigen Nichte hierhergekommen ist, um ihr „zu zeigen, dass wir zusammenstehen müssen und dass auch die Juden zu Dänemark gehören“.

Es ist ein Echo der Rede, die Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt am Vorabend hält. Vor Zehntausenden bekräftigt sie die Verbundenheit mit der kleinen jüdischen Minderheit: „Ein Angriff auf die Juden ist ein Angriff auf Dänemark, auf uns alle.“ Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, ruft zum Zusammenhalt, gerade zwischen Muslimen und Juden, auf: „Der Extremismus ist unsere gemeinsame Herausforderung.“

Lennons „Imagine“ zu Maschinenpistolen

„Imagine“ von John Lennon treibt den Menschen die Tränen in die Augen. Ein Meer aus Fackeln erleuchtet den Platz, Menschen jeden Alters sind gekommen. Der Widerspruch, gerade diese pazifistische Hymne unter dem Schutz von mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten singen zu müssen, ist unübersehbar.

Auf einer anderen Kundgebung am frühen Abend auf dem zentral gelegenen Strøget demonstrieren einige Hundert vor allem junge Menschen gegen Rassismus. Sie legen eine Schweigeminute für die Opfer der Anschläge ein. Die Plakate des linken Bündnisses „Für ein vielfältiges Kopenhagen“ sind auch später auf der großen offiziellen Veranstaltung zu sehen. „Flygtninge og Muslimer er velkomne“ – „Flüchtlinge und Muslime sind willkommen“ steht da. Die Stimmung am Strøget ist freundlich, es wird gemeinsam gesungen. Ein Redebeitrag verurteilt den Antisemitismus. Über der demonstrativen Einigkeit der Großkundgebung kreisen zwei Polizeihubschrauber, nur für die Schweigeminute entfernen sie sich etwas – und für einen Moment ist es beinahe ganz still. In den hinter einem Park liegenden Häusern stehen die Bewohner an den Fenstern.

Die Wohnzimmer und Küchen in ihren Rücken werden wie überall hier mit keiner Gardine vor fremden Blicken geschützt. Kopenhagen ist eine offene Stadt, eine Stadt des Friedens. Daran möchten seine Bewohner jetzt so dringend glauben.

Nach einer Stunde ist alles vorbei. Die Besucher gehen geordnet nach Hause, an den extra aufgestellten mobilen Toilettenhäuschen vorbei. Reinigungskräfte sammelten in wenigen Minuten die am Boden liegenden Reste der Fackeln ein. Die Polizei musste für die Zehntausenden auf dem Heimweg keine weitere Straße absperren, der Verkehr fließt weitestgehend ungehindert – man wartet hier an Ampeln. Man wartet auch auf die Rückkehr des Alltags.

Ob der aber wiederkommen wird, ist alles andere als sicher. Benjamin Abtan ist überzeugt, dass nicht nur in Dänemark und Frankreich die Barriere zwischen zivilem Diskurs und offener Gewalt zusammengebrochen ist. „Und es ist kein Zufall, dass das in der Zeit passiert, in der die letzten Überlebenden des Holocaust sterben. Sie waren das Gedächtnis und Gewissen, das diese Barriere gehalten hat, ein Gewissen, dass noch nicht in diese neue Zeit übersetzt ist.“

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