Von der Sache getrieben

Paul Verhoeven arbeitet für seinen Film „Black Book“ in den Babelsberg. Beim Besuch am Set beeindruckt der Apparat der Bilderzeugung. Wie am Schnürchen gezogen steht die Geschichte auf

Jeder im Team weiß auch ohne Worte, wo der nächste Handgriff ansetzen muss

VON FRIEDERIKE MEYER

In den Filmstudios Babelsberg riecht es nach frisch verarbeitetem Holz. Monströse Strahler beleuchten geschosshohe Kisten in einem Wald von Gerüststangen. In ihrem Inneren wird eine luxuriöse Wohnwelt sichtbar, die an die 30er-Jahre erinnert: vertäfelte Wände, marmorne Türzargen, Stofftapete, Art-déco-Lampen.

Ein Hollywoodregisseur in den Potsdamer Filmstudios, das gibt es nicht alle Tage: Zwischen Werkzeug- und Kabelkisten schlängeln wir uns durch zum Set, an dem Paul Verhoeven seinen neuen Film „Black Book“ dreht. Darin geht es um die Geschichte der Jüdin Rachel Steinn in den Kriegswirren der Niederlande um 1945. Sie entkommt einem Massaker an ihrer Familie und schließt sich dem holländischen Widerstand an.

Ein schriller Ton schnarrt durch den Raum. „And action!“, ruft jemand am anderen Ende. Wir Besucher verharren, hören Stimmen, dumpfes Hallen von festen Schritten. Nach zwanzig Sekunden schnarrt es wieder, zweimal kurz. Wir schleichen weiter die Treppe hoch in einen langen Gang. Vorbei an einer Adolf-Hitler-Büste, die im Papierkorb steckt, vorbei an Lampen, Schränken und Menschen mit schweren Gürteln um die Hüften. Bunte Klebebandrollen baumeln daran, Werkzeug, Funkgeräte. Je näher wir zur Szene vordringen, desto enger wird es.

Am Monitor des Regisseurs Paul Verhoeven befindet sich das Epizentrum der riesigen Marlene-Dietrich-Halle. Zwei Meter hinter ihm dürfen wie stehen bleiben. Ob er jetzt ausrastet? Paul Verhoeven sei, so hatte man gewarnt, manchmal etwas aufbrausend. Deshalb müssten wir Geduld mitbringen, uns so verhalten, als wären wir nicht da.

Nur mit halber Jeans sitzt er auf dem blau bezogenen, etwas fleckigen Regiestuhl, sein Wildlederschuh klemmt auf dem Querholz. Konzentriert schaut er abwechselnd auf den Monitor und durch die offene Tür in den Raum. Ein Mann mit brauner Jacke läuft übers Parkett. Neben ihm steht einer in SS-Uniform. Er setzt zum sprechen an. „And cut!“, ruft Verhoeven und zieht die Kopfhörer vom Ohr. Gelassen lehnt er sich zurück, nimmt einen Schluck aus der Flasche.

Szene 318/13712 spielt gegen Ende des Films. Die Kanadier haben Den Haag befreit und sind im Nazihauptquartier eingezogen. Sicherheitsdienstchef Müntze, gespielt von Sebastian Koch, soll nach deutschem Kriegsrecht hingerichtet werden, da er mit dem Widerstand kooperiert hat. SS-General Käutner, gespielt von Christian Berkel, will das Urteil vollstrecken. Im Film wird die Szene etwa zwei Minuten dauern. Dafür arbeiten mehr als 60 Mitarbeiter zwölf Stunden am Set. Wenn am 19. Dezember die letzte Klappe fällt, liegen 76 Drehtage hinter ihnen.

Während die Außenszenen in Holland gedreht wurden, haben sie in Potsdam-Babelsberg die Sets für die Innenaufnahmen gebaut. Christian Berkel mag die Studioarbeit. „Man ist unabhängig von vorbeiziehenden Wolken und kann konzentriert arbeiten“, sagt der Schauspieler, bekannt aus dem Film „Das Experiment“. Auch Sebastian Koch, der durch seine Rollen als Stauffenberg und Albert Speer allmählich auf deutsche Geschichte abonniert scheint, könnte noch ein paar Wochen weitermachen und ist begeistert von Paul Verhoeven. „Er ist von der Sache getrieben,“ bastelt er später in seiner Garderobe am Bild des Künstlers als Überzeugungstäter, „Er will was mit diesem Film.“

Für Paul Verhoeven, der spätestens seit „Basic Instinct“ zu den Regiestars der Welt gehört, ist der Film ein Comeback nach Europa. Zwanzig Jahre hat der Holländer gemeinsam mit dem Autor Gerard Soeteman am Drehbuch geschrieben, in das Erinnerungen aus seiner Kindheit geflossen sind. Als kleiner Junge erlebte er die Befreiung Den Haags durch die kanadische Armee.

Mit einem Budget von 17 Millionen Euro ist die Produktion für einen europäischen Film gut ausgestattet. Jens Meurer, der als deutscher Produzent an der deutsch-niederländisch-englischen Koproduktion beteiligt ist, will die Neugier anstacheln: „Nichts im Film ist wie es scheint. Die vermeintlich Bösen werden die Guten sein und umgekehrt.“

Am Set ist gerade Umbaupause, Verhoeven prüft den neuen Bildausschnitt. „Wir könnten hier etwas abschneiden, und dann diese Linie aufnehmen“, sagt er auf Englisch zum deutschen Kameramann Karl Walter Lindenlaub und hält die flache Hand an den Monitor. Es ist der längste zusammenhängende Satz, den man Verhoeven sprechen hört. Jeder im Team weiß offenbar auch ohne Worte, wo der nächste Handgriff ansetzen muss. Und so scheint es als ob der Austausch zwischen ihnen über eine schnurlose Datenverbindung funktioniert. Lindenlaub setzt sich auf den drehbaren Kamerastuhl und dirigiert seine Assistenten. Tiefer, weiter in die Ecke. Jemand reicht ihm ein anderes Objektiv. Verhoeven probt mit den Darstellern, lässt sie aus verschiedenen Richtungen aufeinander zugehen. „Right Place!“, ruft Verhoeven nach einer Weile. „Video. Speed. Sound.“ Die Kommandos sind die einzigen Wörter, die das Geschehen am Set strukturieren. And … action. Mucksmäuschenstill steht die Crew zwischen den Requisiten.

Nach dem nächsten Take ist Mittagspause. Paul Verhoevens Gesicht lockert sich. Während rauschende Lüfter versuchen, die Halle zu kühlen, verschwindet er wortlos in die Baracke. Dort wird schon die nächste Journalistenstaffel auf ihn eingestimmt.