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Sofia`s Last Ambulance Bulgarien/Deutschland/Kroatien 2012 R & K: Ilian Metev / Originalfassung mit Untertiteln

Zwei Jahre hat sich der Regisseur Ilian Metev für die Dokumentation Zeit genommen. Und gemeinsam mit seinem Tonmann Tom Kirk die dreiköpfige Besatzung eines Notfallambulanzwagens in Bulgariens Hauptstadt Sofia begleitet. Sorgfältig beobachtend. Die Kameraführung nicht voyeuristisch, sondern nah an den drei Protagonistinnen, die sie souverän an sich heranlassen. Nie ist das Gesicht der PatientInnen zu sehen, selten ein Körper. Das Team von Dr. Krassimir Yordanov, der Ärztin Mila Mikhailova und dem Pfleger und Fahrer Plamen Slavkov aber in allen Arbeitslagen und Stimmungen. Sie rauchen in den Einsatzpausen vorne im Wagen, sie scherzen, schweigen miteinander. Um in der nächsten Szenenfolge im Affenzahn zur Notaufnahme des Hospitals zu fahren, ein Kind ist gestürzt, die Ärztin beugt sich zu ihm über die Krankenliege, versucht es trotz seiner Schmerzen aufzumuntern, dabei mühsam das Gleichgewicht haltend: Komm, wir zählen die Schlaglöcher. Die Straßen sind so marode wie das Gesundheitssystem.

In 20 Jahren Kapitalismus und freier Marktwirtschaft wurden die Staatsausgaben rigoros gekürzt, stattdessen die übliche Bereicherung der Eliten. Die Anzahl der Ambulanzwagen für die Zwei-Millionenstadt Sofia wurde von 140 auf 13 reduziert. Die staatliche Gesundheitsversorgung steht nach jahrelanger Sparpolitik vor dem endgültigen Kollaps. Notfälle müssen bis zu 5 Stunden auf das Eintreffen eines Krankenwagens warten. Nachdem das Team in ein Elendsquartier am Stadtrand gerufen worden ist, sitzen sie wieder rauchend und schweigend im Wagen, aus den müden Gesichtern spricht Traurigkeit.

Und wieder geht es los, ein neuer Notruf aus der Zentrale. Schichtdienst, keine familienfreundlichen Arbeitszeiten. In der Zentrale Austausch mit KollegInnen. Darüber, wer wieder gekündigt hat. Von unserer Truppe ist bald niemand mehr da, seufzt Krassi Yordanov. Kaum jemand ist noch dazu bereit, für ein Gehalt zu arbeiten von dem man im Winter kaum die Heizkosten bezahlen kann. Bevor sie losfahren erzählt Krassi nebenbei, er habe die Zündkerze gewechselt, jetzt laufe der Motor ohne Probleme. Der Arzt muß sich selbst darum kümmern, dass der Ambulanzwagen fahrtüchtig ist.

Aus vielen solcher beiläufigen Bemerkungen setzt sich für die Zuschauenden wie ein Mosaik ein erschütterndes Bild des gesellschaftlichen Zerfalls zusammen. Schon beim ersten Notfall, ein älterer Arbeiter der in einer Fabrikhalle zur Herstellung von Dixieklos im Pausenraum zusammengebrochen ist – Diagnose: Hirnblutung – fragt die Ärztin während der Fahrt zur Notaufnahme: Aber sie dürfen ihn doch nicht ablehnen? Der kommentarlose Film ist gut durchkomponiert, wie bei einer Fuge wird das Motiv variiert, Spannung und Entspannung wechseln sich ab. Gut anzusehen, trotz des bitteren Inhalts. Gaston Kirsche

Do, 20 Uhr, Lichtmeß, Gaußstr. 25