Debatte Intendant Volksbühne Berlin: Großes Theater

Frank Castorfs Volksbühne war stets angefressen vom Zweifel. Das könnte auch unter seinem Nachfolger Chris Dercon so bleiben.

Ein geschickter Rhetoriker: der designierte Intendant Chris Dercon (M.). Bild: dpa

Seit etwas über einem Jahr ist an der Berliner Volksbühne eine merkwürdig verspulte und verschrobene Produktion zu sehen, „Der Klang von der Offenbarung des Göttlichen“. Der isländische Künstler Ragnar Kjartansson hat prächtige Bühnenbilder von romantischen Landschaften entwickelt, zu denen der isländische Komponist Kjartan Sveinsson eine ebenso schwülstige wie minimalistische Musik geschrieben hat, die vom Filmorchester Babelsberg live gespielt wird.

Schauspieler gibt es nicht in der Produktion, wohl aber jeder Menge dramatische Effekte. Einerseits huldigt die Inszenierung einem Geist, der von der Geniegläubigkeit des 19. Jahrhundert durchdrungen ist, setzt dieses andererseits aber in ironische Klammern. „Der Klang von der Offenbarung des Göttlichen“ wirkt nun beinahe wie eine prophetische Inszenierung, ist doch Ragnar Kjartansson einer der Künstler, mit denen Chris Dercon, der designierte Intendant der Volksbühne ab 2017, schon gearbeitet hat, in einem Performance-Raum der Tate Modern.

Es ist eine von vielen Fragen nach der Funktion der Kulturinstitution Theater, dem angefressenen Theater, das Ragnar Kjartansson präsentiert. Das passte sowohl zu der Volksbühne Castorfs, an der die Regisseure und Performer geradezu notorisch an den Formatgrenzen der Gattung Theater werkelten und den Zweifel am Sinn des eigenen Tuns großschrieben; und es passt zu dem Gestus der Suche nach dem Theaterbegriff der Zukunft, mit dem sich Chris Dercon am letzten Freitag vorstellte.

Bei dieser Pressekonferenz, zu der Michael Müller, Berlins Regierender Bürgermeister und Kultursenator eingeladen hatte, zeigte sich Dercon als ein äußerst geschickter Rhetoriker. Er griff in seiner Vorstellung viele der Bedenken auf, die zuvor von den Intendanten anderer großer Theater in Berlin, Hamburg und München gegen seine Nominierung geäußert worden waren, bekannte sich zum Festhalten an einem Ensemble- und Repertoire-Theater und nahm der Angst, mit ihm an der Volksbühne sei dem Abbau verbindlicher Produktionsstrukturen an den Stadttheatern ein Einfallstor geöffnet, die Spitze.

Die Kritiker der Berliner Entscheidung waren auch über das Verfahren der Besetzung empört, ohne öffentliche Debatte. Dem konnte Michael Müller nichts entgegensetzen, das werde wohl auch in Zukunft so bleiben, dass solche Posten ohne Bürgerbeteiligung vergeben würden. In einer Hinsicht aber hatte die vorausgegangene Empörung ihm und Dercon eine gute Steilvorlage bereitet: Von der Volksbühne war plötzlich wieder die Rede als dem Theater, an dem sich entscheidet, was aus der Institution Theater überhaupt noch werden kann in Deutschland.

Risikobereitschaft

Schaut man auf die Künstler, die Dercon als Partner nannte, um mit ihnen das Konzept für die Volksbühne zu entwickeln, ist da tatsächlich einiges an Musik und Abenteuer drin. Die Schauspielregisseurin Susanne Kennedy zum Beispiel, die dieses Jahr mit einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele nach Faßbinders Film „Warum läuft Herr R. Amok“ zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen ist, gastierte dort letztes Jahr mit „Fegefeuer in Ingolstadt“ nach Marie-Luise Fleißer – unmittelbar nach einer Castorf-Inszenierung.

Beide Aufführungen waren von dem Ekel durchtränkt, mit dem die Figuren ihre Mitmenschen betrachten. Der Blick von Susanne Kennedy schien dabei kälter und erbarmungsloser als Castorfs, ihr Umgang mit der Spannung zwischen Film und Theater ist einige Umdrehungen weiter.

Dass Dercon auch Risikobereitschaft mitbringt und Künstlern das Ausprobieren für sie neuer Formen ermöglichen will, dafür steht die geplante Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Romuald Karmakar, für den die Arbeit auf der Bühne neu ist.

Symbolischer Stellenwert

Seine Filme aber, wie „Das Himmler-Projekt“, in dem der Schauspieler Manfred Zapatka eine Rede Himmlers liest, oder die „Hamburger Lektionen“, die sich mit Vorträgen des Islamisten Mohammed Fazazi beschäftigen und dessen rationalen Konstruktionen zur Begründung von Feindschaft, führt Dercon als Verwandte des Dokumentar-Theaters an, etwa von Milo Rau. Karmakars Blick auf die Sprache, die Macht der Rhetorik und die Verführungskraft der Worte mit als eine Perspektive aufzunehmen, ist ein interessanter Ansatz.

Auch mit der Bereitschaft des französischen Choreografen Boris Charmatz, nach Berlin zu kommen, hat Dercon einen Trumpf im Ärmel. Charmatz, der bisher in Berlin auf den Festivals Tanz im August und Foreign Affairs oft zu Gast war, ist als ein Künstler bekannt, der nicht stehenbleibt.

Sowohl in den Stücken, die er macht, – in „Enfant“ zum Beispiel stellen Kinder und Erwachsene die Bilder von deren Verhältnis, von Schutz und Verfügungsgewalt auf eine unheimliche Art auf den Kopf – als auch Formaten wie dem Musée de la Danse, in dem Geschichte von Tanz, Kunst und Theater wiedererzählt wird. Seine Inszenierungen nicht nur zweimal im Rahmen eines Festivals, sondern so oft wie bisher einen Marthaler auf der Bühne sehen zu können, ist durchaus attraktiv.

Nach dem ersten Auftritt Dercons in Berlin hat sich die Empörung über die Entscheidung etwas gelegt.

Anstrengendes Theater

Ein Ende der Debatte sollte das dennoch nicht sein. Denn erstens weiß man, konkret auf die Berliner Volksbühne bezogen, vieles noch nicht: Die Ideen sind das eine, der Etat das andere und wie beides zusammengeht, daran beginnt die Arbeit jetzt erst.

Zum anderen ist der Erhalt der Ensemblestrukturen vieler Theater in Deutschland tatsächlich ökonomisch zunehmend bedroht und die Angst vor dem Abbau beruht auf vielen schlechten Erfahrungen. Das war einer der Gründe, warum, was an der Volksbühne passiert, symbolisch einen so hohen Stellenwert hat. Einen Ausweg zu suchen, ist aber nicht mehr Sache allein der Kulturpolitik in Berlin.

Die Volksbühne in den letzten zwanzig Jahren: Das war oft auch anstrengendes Theater, fordernd, zumutend, betont anarchistisch. Die Angst, dort in einigen Jahren zu viel glatte Kunst vorgespielt zu bekommen, scheint jedenfalls vorüber.

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Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin.

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