Die Lissaboner Nacht gehört dem Fado

PORTUGAL Fado war einst der verpönte Seelenklang der Lissaboner Unterwelt, die Sängerinnen oft Prostituierte. Diese Volksmusik ist wieder angesagt. Eine neue Musikergeneration nutzt sie, um gemeinsam Träume zu zelebrieren

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■ Reiseführer: Petra Sparrer, CityTrip Lissabon, Reise Know How Verlag, Bielefeld, 2013, 144 S., 9,95 Euro

VON PETRA SPARRER

Nimm die Tram 28. Wenn du an der rechten Seite die Säulen des Nationalparlaments siehst, steigst du aus, von dort ist es ganz nah.“ Estafado heißt die neue Fado-Taverne in São Bento, in die Margarida mich lotst. Übersetzt heißt das: „Ich bin extrem erschöpft“. Und ich müsse bis zwei Uhr morgens durchhalten, denn nach elf und um Mitternacht kämen immer noch neue Musiker, die hier nach ihren offiziellen Auftritten woanders gern noch improvisieren.

Durch den Vorraum geht es eine Treppe hinunter. Gedimmtes Licht und Kerzen: Eine junge, dunkelhaarige Sängerin, ganz in Schwarz, singt einen Fado, begleitet von einer klassischen und einer portugiesischen Gitarre. Das für den Fado typische Trio. Pst, leise sein! Margarida winkt mich an den Tisch. Ich bestaune die hintere Wand, ganz eingenommen vom Bild eines älteren Fadosängers mit Kappe und Zigarette im Mund. Applaus, es darf wieder gesprochen werden.

„Ja, der“, sagt Margarida, „der hat immer geraucht, manchmal sogar, wenn er sang.“

Der Schustersohn und Fadosänger Alfredo Marceneiro (1891-1982) hieß eigentlich Duarte. Er arbeitete lange Zeit als Schiffszimmerer, daher sein Künstlername Marceneiro. In „O Marceneiro“, einem seiner bekannten Lieder, singt er, er zimmere seine Lieder zusammen, wie es dem Publikum gefällt. „Fado ist der Spiegel der portugiesischen Seele, und die Poesie der Texte spielt deshalb eine wichtige Rolle“, sagt Manuel Marçal.

Er ist Margaridas Neffe und war in den ersten Monaten des Estafado so etwas wie ein Kulturmanager. Im Auftrag des Besitzers Hugo Lopes pflegte er den Kontakt zu den Musikern, servierte und sang auch selbst. „Sollen wir Petiscos bestellen?“, fragt Manuel. Als typische portugiesische Tapa empfiehlt er ein Gericht mit Garnelen und açorda, einem Brei aus gemahlenem Brot, gewürzt mit viel Knoblauch und Koriander, dazu den Rotwein des Hauses.

Seine Frau Matilda beginnt wieder zu singen, zieht die Augenbrauen zusammen und wirft den Kopf leidenschaftlich in den Nacken. „Als die beiden geheiratet haben, hat sie nach der Trauung mit dem Rücken zum Publikum in der Kirche ganz allein einen kurzen Fado gesungen. Das war sehr bewegend“, erzählt Margarida.

Matilda singt auch in Altenheimen und auf der Straße, wenn die Viertel zu festlichen Anlässen kleine Bühnen aufbauen und die Leute an langen Tischen in den Gassen essen. „Die portugiesische Gitarre ist unglaublich“, schwärmt Margarida jetzt, „Das ist Ricardo Rocha Neto da Fontes. Er hat schon mehrere Musikpreise bekommen, für mich zählt er zu den besten Fadogitarristen.“

„Saudade“ höre ich Matilda schon ein drittes Mal anheben, voller Inbrunst. Was sie singt, verstehe ich nicht im Detail, aber sie hat Charisma und kann unendlich traurig wirken. Meine Tischnachbarin Maria-José, eine Freundin, sieht mich an und grinst. „Ein urportugiesischer Seelenzustand“, erklärt sie. „Saudade kann Sehnsucht bedeuten, Heimweh oder Schmerz. Man vermisst etwas oder blickt bereits voller Wehmut in die Zukunft.“ Im Fado musikalisch umgesetzt, erklingen dunkle Gefühle wie ein Klagelied, Ausdruck eines Leidens, das tiefer und leidenschaftlicher ist als reine Melancholie.

Mit dem Fado wird der portugiesische Hang zur Schwermut kollektiv zelebriert. Er entstand in Lissabons Armenvierteln, in der Alfama, der Mouraria und den düsteren Hafengegenden von Alcântara. Meist sangen Prostituierte für Seeleute, Zuhälter und Bohemiens über Armut, Alltagsleid, verlorene Liebe, Sehnsucht und die Schönheit Lissabons. Der Fado gehörte in die Unterwelt und wer jemanden Fadista (Fadosänger) nannte, meinte es beleidigend.

Die Zeiten haben sich geändert. Cesária Évora mit den Mornas, der kapverdischen Fadovariante, Chico Buarque mit seinem Fado brasil und Mariza haben es in die internationalen Charts geschafft. 2012 feierte die aus dem Film „Lisbon Story“ von Wim Wenders bekannte Band Madredeus ihr 25-jähriges Jubiläum und tourte auch durch Deutschland. Sie und viele andere sind die Vorbilder für eine neue Generation, bei der Fadomusiker weit oben auf der Liste der Traumberufe steht. Fado ist heute nicht nur gesellschaftsfähig, sondern auch schick und 2011 erklärte die Unesco ihn zum immateriellen Weltkulturerbe.

„Man muss das Rad nicht neu erfinden“, sagt Manuel, der von Mariza zum Beispiel gar nichts hält. „Interessant ist die enorme Renaissance des Fado. Immer mehr jungen Leuten macht es Spaß, zusammen zu improvisieren – nicht gegen die Traditionen des Fado, sondern mit ihnen.“

In Gemeinschaft kunst- und genussvoll traurig zu sein, ist wieder in und dabei hat die neue Fangeneration eine Menge Spaß. Die überlieferten rund 150 musikalischen Grundstrukturen für Fados, darunter schnelle und langsame, fröhliche und traurige Lieder, liefern genügend Stoff zum Experimentieren. Zudem ist die Zeit der Diktatur, als die kritischen Texte aus den Fados verschwanden, lange vorbei.

„Fado ist der Spiegel der portugiesischen Seele und die Poesie der Texte spielt daher eine wichtige Rolle“ „Beim Fado dreht sich alles darum, ob das Gefühl glaubhaft ist und sich überträgt oder nicht“

Dank der Fadotradition in Familie und Gesellschaft sind viele „Lisboetas“ mit unvorstellbarem autodidaktischem Eifer zu hervorragenden Musikern und bei Konzerten zu guten und toleranten Zuhörern geworden.

In fast allen Familien gibt es eine Großmutter, die Fado gesungen hat, einen Onkel, der singt oder Gitarre spielt. „Fado trägt man in sich, eine Schule dafür gibt es nicht“, so Manuels Überzeugung. „Doch im Museu do Fado, dem Fadomuseum in der Alfama, gibt es eine Fadoschule, die Kurse für Gitarristen und Texter anbietet“, sagt Maria-José. „Und ein Notenarchiv und eine Audiodatenbank“, fügt sie hinzu. „Ja, aber das ist relativ neu und vielen Fadistas zu teuer“, räumt Margarida ein. „Computer und Internet helfen, manche Gitarristen waren auf der Musikhochschule, aber sonst trifft man sich, hört einander zu, ein Musiker lernt vom anderen, man lässt sich Griffe zeigen, übt, übt, übt“, sinniert Manuel.

Jetzt steht ein Mann vom Tisch gegenüber auf und es wird ganz still. Seine Stimme erfüllt den Raum. Er besingt eine alte Liebe und eine Welle von Traurigkeit flutet ins Publikum. In der nächsten Pause kommt die Sängerin Matilda an den Tisch: „Fado singen darf jeder“, sagt sie. „Nicht allein die Stimme zählt, die Ausstrahlung muss stimmen. Beim Fado dreht sich alles darum, ob das Gefühl glaubhaft ist und sich überträgt oder nicht“, sagt sie. „Ja, wenn ich nichts empfinde, kann ich zu diesem Thema auch keinen Fado singen“, nickt Manuel.

Fadobegeisterte haben ihre eigene Szene. In ihren Clubs mit halbprivatem Flair sind auch Touristen willkommen, allerdings nicht in großen Gruppen. Manuel, der seinen Lebensunterhalt als Manager eines Unternehmens verdient, das Navigationssysteme verkauft, geht am liebsten ins Mesa de Frades und ins Casa da Mariquinhas.

Es ist zwei Uhr. Einer der Musiker unter den Zuhörern fragt in die Runde: „Gehen wir noch ins Xafarix, ich rufe ein Taxi“. Mit Fado hat das nichts mehr zu tun. Dort wird bis 4 Uhr Livemusik der 80er-Jahre gespielt. Ich muss ins Bett und schaue mir lieber am nächsten Tag die von Manuel empfohlenen Lokale an.