Männer auf die Schulbank

Jungen werden in der Schule benachteiligt, zeigen immer mehr Studien. Um das zu ändern, sollen mehr Pädagogen in die Klassen. Initiativen der Jungenarbeit in NRW lehnen die Männerquote ab

VON GESA SCHÖLGENS

Jungen fehlen die männlichen Vorbilder – sowohl in Kindergärten als auch in Grundschulen. Der Männeranteil unter Lehrer- und ErzieherInnen ist laut Landesamt für Statistik seit Jahren rückläufig. Dabei sind männliche Vorbilder im Kindergarten und in der Grundschule besonders wichtig. Ohne sie besteht die Gefahr, dass Jungen unzeitgemäße Männerrollen übernehmen. Laut die Shell-Jugendstudie von 2002 wenden sich bereits 20 Prozent der Jungs alten Rollenklischees zu: dem Mann als körperlich starken „Gewinner“. Das Bild passt aber nicht mehr in die heutige Gesellschaft – und die Jungen fühlen sich dementsprechend missverstanden.

Auch die aktuelle IGLU-Studie hat gezeigt, dass Jungen Förderbedarf haben und in der Schule benachteiligt werden. Sie sind nicht nur schlechter im Lesen als Mädchen, sondern auch schreibfauler. Selbst bei gleichen Leistungen werden Mädchen oft besser benotet – eben auch für ihr Wohlverhalten oder Angepasstsein. Die Mädchen wollen zudem eine höhere Bildung erreichen und überholen die Jungs in der Schule – und damit auch in punkto Berufschancen. „Gleichzeitig brauchen Jungen viel mehr Aufmerksamkeit als ihre Klassenkameradinnen“, so Schiederich. Inzwischen gebe es an Sonder- und Hauptschulen viel mehr Jungen als Mädchen. In NRW beispielsweise liegt der Jungenanteil an den Sonderschulen bei 56 Prozent, an Hauptschulen bei 57 Prozent.

Eine Männerquote in pädagogischen Berufen kommt für die Jungenarbeit dennoch nicht in Frage. „Man kann keine Männer dazu verpflichten, in diesen Berufen zu arbeiten“, sagt etwa Claus Schiederich vom Projekt Jungenarbeit Köln. Die meisten Männer wollten eben eine Arbeitsstelle, die gut bezahlt und mit einem gewissen gesellschaftlichen Status verbunden sei. „Pädagogische Berufe sind in ihren Augen immer noch Frauensache“, so Schiederich. Anders als bei der Frauenquote, die mehr Frauen in gut bezahlte Jobs und Führungspositionen bringen soll, würde die Männerquote den Berufswunsch nicht beeinflussen.

Abhilfe könnte das bundesweite Pilotprojekt „Neue Wege für Jungs“ schaffen. Ziel ist es, Jungen mehr Perspektiven für ihre Lebensplanung aufzuzeigen – auch in „Frauenjobs“. Das Projekt startete im Frühjahr und will mit der Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit NRW mehr regionale Angebote für Schüler einrichten. Ein Service-Büro in Bielefeld vernetzt und unterstützt Engagierte in Schule, Jugendarbeit und Berufsberatung.

Dazu gehörte im Herbst in Bielefeld auch eine dreitägige Aktion parallel zum Girls-Day. Die Jungs durften dabei in untypische Männerberufe wie Erzieher, Altenpfleger oder Florist hineinschnuppern. „Das Ziel ist, feste Rollenmuster aufzubrechen“, sagt Ralf Müller, Mitglied im Bielefelder Forum Jungenarbeit. Viele Jungs konnten sich vor dem Praktikum nicht vorstellen, alte Menschen zu pflegen oder statt Autos Brötchen zu verkaufen. „Den meisten hat es aber dann doch sehr gut gefallen“, so Müller. Im nächsten Jahr soll die Aktion an Schulen weitergehen.

„Wichtig ist die Flexibilisierung der männlichen Rolle“, sagt Miguel Diaz, Koordinator des Projektes. Die Berufswahl sei immer ein Audruck von Rollenvorstellungen. Die meisten Jungs sehen sich in Jobs, die Wissen vermitteln oder leitende Positionen. „Sie haben häufig noch das Bild vom Alleinernährer im Kopf“, sagt Diaz. Eigenschaften wie Sozialkompetenz, Kommunikation, Empathie und Konfliktfähigkeit würden bei der Erziehung von Jungen oft vernachlässigt. Im Bereich der Mädchen- und Frauenförderung gebe es schon länger viele etablierte Angebote. „Das was wir machen, ist dagegen Pionierarbeit“, so Diaz. Sogar neue Berufsbezeichnungen könnten schon etwas ausrichten: „Jungen fühlen sich eher durch Bezeichnungen wie ‚Retter‘ als durch ‚Helfer‘ angezogen.“

Auch das NRW-Schulministerium halt eine Männerquote nicht für durchsetzbar: „Wir haben ohnhin einen Mangelbedarf an LehrerInnen. Eine Quote würde die Auswahl noch erschweren“, so Sprecher Andrej Priboschek. Man könne sich aber vorstellen, mit einer Kampagne speziell Männer zu werben.