ausgehen und rumstehen
: Nach Salbeibad irgendwas Hartes

Am Freitag habe ich frei. Bis mich mein Freemail-Provider mit der Schlagzeile „Vor dem Vierten Advent: 60 Prozent der Deutschen noch ohne Weihnachtsgeschenke“ erschrecken will. „Netter Versuch“, denke ich, die sich vor derlei bürgerlicher Tradition durch jahrelanges Training hart gemacht hat. Jetzt erobert mich allerdings ein großes, herrliches Gefühl: Ich spüre Festtagssentimentalität und will ins Warenhaus.

Diesen Titel verkörpere in dieser Stadt niemand besser als das KaDeWe, lasse ich mir sagen, außerdem komme man wegen der guten Beratung hier schnell zum Ziel bzw. wieder nach Hause. Und tatsächlich: Schon im Erdgeschoss erledigt sich die Hälfte des Einkaufszettels fast wie von selbst. Eine elfenhaft schöne Rothaarige lässt mich an Duftkerzen aus Paris schnuppern und erklärt mir das revolutionäre Beautysystem eines in den Zwanzigerjahren nach New York emigrierten Ungarn. Es geht dabei hauptsächlich um Uhrzeiten und Wasser und Art-déco-Tiegel. Nichts für meine Tante R., die seit ihrer Jugend mit Gewichtsproblemen kämpft und es beim Essen wie der Körperpflege schnell und einfach mag. Also auf zum Stand von Dr. Hauschka – hier gibt es „die Naturkosmetik der Hollywoodstars“.

Die beiden dort arbeitenden Verkäuferinnen haben offensichtlich ein sehr gutes Verhältnis: „Nehmen Sie das Salbeibad“, sagt die eine und zeigt dabei auf die andere, ein Untergrößenmodel mit russischem Akzent, „damit hat meine ebenfalls stark übergewichtige Kollegin hier gute Erfahrungen gemacht.“

Nach der ganzen Freude des Tages muss ich abends in diesen unfreundlichen Talentschuppen namens Knaack Club, der heute drei Englisch singende Bands bietet. Eine davon verpassen wir, die zweite macht den Eindruck einer ambitionierten Rock-AG, sollte aber noch mal über die Bühnenchoreografie des Bassisten reden. Die dritte verstehe ich nicht: Sie beerdigt eigentlich gute Folksongs unter einem Heavy-Arrangement, das mit so viel supermännlicher Kraft draufhaut wie das Fußballteam der Geflügelmast von nebenan. Schnell weiter zum Entgiften in die Homosexuellenbar.

Am Samstag bin ich wegen der Nachwehen vom Abend zuvor dann ein ziemlich linkischer Gast auf meiner eigenen Party. Gott sei Dank nicht der einzige: Wer nicht wegen Panoramabar-Kater schlafend wegbleibt (zwei der bestellten vier DJs), fehlt wegen „Kuttner On Ice“ oder kommt wegen „Kuttner On Ice“ erst gegen zwei und verlangt dann schwer angeschlagen nach „mehr Umsonstwodka“ oder will „sonst irgendwas Hartes“. So ist das in der Welt der modernen Samstagabendshow: Adieu, Familienprogramm, Bonjour, Partydrogen. Unmoralisch.

LORRAINE HAIST