Brüssel stellt Deutschland Ultimatum

Seit Jahren verzögern die Bundesländer die Meldung von Schutzgebieten nach der so genannten FFH-Richtlinie – aus Angst vor Auflagen. Wenn sie ihre Liste nun nicht binnen zwei Monaten vervollständigen, will die EU-Kommission teure Bußen verhängen

VON ANNETTE JENSEN

Deutschland ist bei der Meldung wichtiger Naturräume zehn Jahre überfällig. Nun reißt der EU-Kommission der Geduldsfaden. Wenn in den nächsten zwei Monaten keine vollständige Liste der Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Gebiete in Brüssel vorliegt, droht eine Klage vor dem europäischen Gerichtshof (EuGH). Und dieser hat in diesem Zusammenhang schon einmal gegen Deutschland entschieden.

Jetzt würde es teuer. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach gestern von einem drohenden Zwangsgeld von 790.000 Euro pro Tag. Claus Mayr, EU-Experte beim Naturschutzbund (Nabu), hält sogar eine Milliardenbuße für nicht ausgeschlossen. Schließlich sei Deutschland 2001 schon einmal verurteilt worden und habe die Auflagen dann nicht erfüllt. Die Richter könnten also sogar eine rückwirkende Strafe verhängen.

Schuld an der Verzögerung sind die für Naturschutz zuständigen Länder. Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein wollen die Flussmündungen von Elbe, Weser, Ems und Trave nicht nach Brüssel melden. Sie fürchten, dort nicht mehr so bauen und baggern zu können wie bisher. Auf der Liste fehlen aber auch einige Mittelgebirgsbäche mit seltenen Wasserpflanzen in Süddeutschland. Durch Unterlagen aus dem Bundesnaturschutzamt und von Umweltorganisationen ist Brüssel über die schutzwürdigen Gebiete gut informiert.

Die FFH-Richtlinie stammt aus dem Jahr 1992. Sie soll helfen, ein Netz natürlicher Lebensräume zu erhalten und so wildlebende Tiere und Pflanzen zu schützen. Die Bedingungen für die Gebiete richten sich allein nach ökologischen Kriterien: Gibt es ausreichende Areale, damit seltene Schmetterlinge und Orchideen auf Dauer überleben können? Nur so lässt sich der Artenschwund bis zum Jahr 2010 stoppen, wie es die EU-Länder beschlossen haben.

Nachdem Deutschland bis zum ersten EuGH-Prozess nur 700 Gebiete gemeldet hatte, ist die Liste durch den permanenten Druck aus Brüssel und die Arbeit von Naturschutzverbänden inzwischen auf 3.800 angewachsen. Das entspricht gut neun Prozent der Landesfläche. Weil die deutschen Flussmündungen aber immer noch fehlen und die EU deshalb die Atlantikregion noch nicht bewerten konnte, warten auch niederländische und französische Gemeinden immer noch auf einen Bescheid – und Fördergelder. Entsprechend sauer ist man dort.

Die Ausweisung eines Moores, Waldes oder Wasserlaufs als FFH-Gebiet bedeutet keineswegs, dass hier nicht mehr gebaut werden darf. Allerdings müssen die Maßnahmen vorher bei der EU-Kommission angemeldet und genehmigt werden. Kommt sie zu der Überzeugung, dass großes öffentliches Interesse an dem Projekt besteht, ist sie auch bereit, wertvolle Gebiete zu opfern, wie sich beim Umgang mit dem Mühlenberger Loch erwiesen hat. Das seltene Süßwasserwatt in Hamburg musste weichen, weil Airbus ein paar tausend Arbeitsplätze versprochen hatte.