Der Traum vom eigenen Normhaus

Drei Zimmer auf 50 Quadratmetern. Wer solch ein Haus bauen kann, ist froh. Manche haben nicht mal mehr Land

COLOMBO taz ■ Am felsigen Strand von Katukurunda liegen noch die Bootswracks: Rümpfe und Heckteile von Fischerbooten, die vom Tsunami gegen die Felsen geschmettert wurden. Der Bug eines großen Bootes, noch immer an einer Palme vertäut, erinnert an den Morgen des 26. Dezember 2004, als die Welle kam. Allein in Sri Lanka hat sie mehr als 31.000 Menschen in den Tod gerissen.

Auch an der Küstenstraße stehen noch die Ruinen der Häuser, die nicht komplett weggespült wurden – als wäre das Unheil erst vor wenigen Tagen geschehen. Doch der Eindruck täuscht. Dazwischen sieht man Zelte und provisorische Flüchtlingslager, wo die noch immer Obdachlosen auf ihr neues Heim warten. Obwohl vor allem hier im Süden kräftig gebaut wird, hat ein Jahr nach der Katastrophe nur ein kleiner Prozentsatz jener Familien, die alles verloren haben, ein festes Dach über dem Kopf.

Folgt man der Küstenstraße von der Hauptstadt Colombo in Richtung Galle im Südwesten, trifft man in fast jedem Ort auf Schilder, die die Aufbauarbeit europäischer Hilfswerke anzeigen. Im kleinen Dorf Paraliya etwa, 30 Kilometer von der Hafenstadt Galle entfernt, steht ein Haus der deutschen Initiative „Hameln-Pyrmont hilft“ noch leer. In das Haus daneben, gebaut mit Mitteln von „Jugend Eine Welt“, dem Hilfswerk der österreichischen Salesianer Don Bosco, ist der Fischer S. H. Karunadashar mit seiner Familie bereits eingezogen.

Karunadashar und seine 21-jährige Tochter sind gerade dabei, auf einem metallenen Spinnrad ein Seil aus Kokosbast zu drehen. Die Ehefrau steht im nahen Hikkaduwa in sengender Hitze Schlange vor der Bank, um die monatliche Tsunami-Hilfe abzuholen. Die Häuser sind alle nach den einheitlichen Vorgaben der Regierung gebaut: auf 50 Quadratmetern ein Wohnraum, zwei Schlafzimmer, die Küche. Meist beteiligt sich die Familie, die später einzieht, am Bau des Hauses: Erde ausheben, Zement mischen, Ziegel streichen. Das macht die Arbeit etwas billiger und gibt den Menschen das Gefühl, nicht nur Hilfeempfänger zu sein, sondern auch selbst etwas geleistet zu haben. Viele leben in einer behelfsmäßigen Hütte neben ihrem noch unfertigen Neubau. Sie sind die Glücklichen, die ein Stück Land ihr Eigen nennen, auf dem neu gebaut werden darf.

Denn eine große Zahl von Obdachlosen, die noch in tristen, finsteren Zeltverschlägen hausen, hat nicht die Aussicht auf ein eigenes Haus. Manche von ihnen betteln Touristen oder die zahlreich angereisten Delegationen europäischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an. Denn dort, wo ihr Haus stand, direkt am Strand, dürfen sie nicht mehr bauen.

Nach dem Tsunami verhängte die Regierung ein generelles Bauverbot in einer Sicherheitszone, die – je nach Lage – 200 oder 300 Meter vom Meer betragen sollte. Ausnahmen wurden nur für Hotels gemacht. Doch die gut gemeinte Regel warf eine Unmenge von Problemen auf: Eigentumsfragen waren zu klären, Bauland für neue Siedlungen war bereitzustellen. Und was ist mit den Häusern innerhalb der Zone, die nur repariert werden müssten?

Die Verwaltung war solchen Problemen nicht gewachsen, viele Projekte wurden endlos hinausgezögert. Als schließlich im Wahlkampf der Oppositionskandidat Ranil Wickremesinghe versprach, die Sicherheitszone aufzuheben, zog der heutige Präsident Mahinda Rajapakse nach. Allerdings blieb es bei der Ankündigung, Verordnungen hat er bis heute nicht erlassen. Deswegen suchten die Behörden kurzfristige Lösungen. Inzwischen ist die Konfusion perfekt: Müssen 100 Meter Abstand zum Strand eingehalten werden? 65? Oder gar nur 25 Meter?

Im Norden und Osten, wo die tamilische Minderheit zu Hause ist, dauert alles noch länger. Im Vanni, dem Gebiet, das der Rebellenorganisation LTTE für die Zeit der Waffenruhe zur Selbstverwaltung überlassen wurde, kommt von internationaler Hilfe wenig, von staatlicher Unterstützung nichts an. „Keinen Cent“ habe die Regierung ins zerstörte Fischerdorf Mullaitivu geschickt, sagt Schwester Rajes vom Orden des Guten Hirten der taz. Sie senkt ihre Stimme, als spreche sie etwas Verbotenes aus.

Hunderttausende Vertriebene hat allein schon der Bürgerkrieg hier über das Land verstreut, zum Teil leben diese Menschen schon 15 Jahre in Massenunterkünften. Für sie hat es nicht diese Solidarität gegeben wie für die, die durch den Tsunami plötzlich obdachlos geworden sind. Aus den Hähnen des internationalen Mitgefühls floss dermaßen viel Geld, dass auch Profiteure mit Scheinprojekten Kasse machen konnten. Sri Lanka soll inzwischen doppelt so viele Fischerboote haben wie vor dem Tsunami – aber sie sind ungleich verteilt. Die Nachfrage nach Baumaterial und Facharbeitern, klagen NGO-Mitarbeiter, hat Preise und Gehaltsforderungen derart in die Höhe schnellen lassen, dass die Inflation nächstes Jahr wohl sämtliche Wirtschaftsbereiche erfassen wird.

Mit einem blauen Auge davongekommen sind die Betreiber von Luxushotels: Noch bleiben die Touristen fern, aber die gut bezahlten Experten der Hilfswerke brauchen zum Glück viele Betten. RALF LEONHARD