Der zerstörte Look der Stadt

MODE Auf der Fashion Week ist Mode für Frauen zu sehen, die es in Berlin gar nicht gibt. Aber auch Kleider von Vladimir Karaleev, die daran erinnern, dass grobe Schönheit nicht nur ein Claim des Städtemarketings ist

Die Musik hämmert, tanzende Models springen vom Laufsteg, die Aftershowparty bei Diesel hat begonnen

VON ELISABETH RAETHER

Am Bebelplatz legt sich gegen Abend eine dünne Eisschicht über den Schneematsch und glitzert gefährlich, als wollte die Stadt sich gegen die Vereinnahmung durch die Modebranche zur Wehr setzen: kein Bock, Modehauptstadt zu sein, eure High Heels könnt ihr zu Hause lassen.

Aber IMG World, die riesige New Yorker Eventagentur, die die Mercedes Benz Fashion Week zum 6. Mal veranstaltet, und Klaus Wowereit haben längst erkannt, dass ihre herbe Schönheit die Stadt zur perfekten Kulisse macht für die Inszenierung einer bestimmten Mode. Nicht für Mode, bei der es darauf ankommt, wie ein Ärmel genäht ist, wie ein Saum verarbeitet ist. Eher für die schnellere Mode, die Street- und Clubwear, robuste Kleidung, die nicht die Welt kostet, die man sich nicht für Jahre, sondern für eine Saison anschafft, die man nicht zum Änderungsschneider bringt oder in die Reinigung und die dennoch, oder gerade deshalb, einen modischen Kommentar abgibt.

Grimmige Gesichter

Die italienische Marke Diesel, die zum ersten Mal während der Modewoche präsentiert, lässt in der Industriehallenästhetik der Arena in Treptow junge Männer und Frauen mit grimmigen Gesichtern über den Laufsteg marschieren: die schönen Körper in zerschlissenen Jeans („destroyed look“), die hübschen Gesichter unter den tief hinabgezogenen Kapuzen der Sweater verborgen. Kettenapplikationen, keine Taschen, Overall, mit Nieten besetzte Jeansminis, schmale Jeans sowie die weitere Variante. Letztere wird „boyfriend cut“ genannt – die Modebranche kennt so viele Bezeichnungen für Jeansschnitte wie die Polarvölker für Schnee. Am Ende rennen die Models, statt eines sittsamen Finales, über den Laufsteg, springen runter. Die Musik hämmert, der Laufsteg wird unter dröhnenden Sirenen hoch an die Hallendecke gehoben, Nebelmaschine an, tanzende Models, die Aftershowparty hat begonnen.

Ein perfekt inszenierter Berlin-Moment und eine Ästhetik, auf die die Veranstalter sich wohl konzentrieren sollten. Denn man versteht nicht ganz, warum eine Designerin wie Susanne Wiebe im Rahmen der Berliner Modewoche ihre Kollektion zeigt. Sie präsentiert enge Lederröcke, dazu kurze Schößchenblazer aus Leder oder in Leopardenprint, ein Minikleid mit Spitzenbesatz, Pailletten, Pelz und einer kleinen Schleife: Kleidung, wie vielleicht eine kurvige Sekretärin sie trägt, wenn sie mit ihren Freundinnen in fröhlicher Runde beim Prosecco zusammensitzt. Gibt es solche Frauen überhaupt in Berlin? Aber ab Februar soll ja auch eine Munich Fashion Week stattfinden. Dort wird man solch schwüle Weiblichkeit wohl zu schätzen wissen. Dort werden schließlich Berühmtheiten wie Birgit Bergen hervorgebracht, die bei Susanne Wiebe in der Front Row saß. Eine beeindruckende Dame um die siebzig im fuchsiafarbenen Kostüm, die Wimpern blau getuscht, blonde Mähne, die also so aussieht, als wäre sie mit einem texanischen Ölmagnaten verheiratet. Tatsächlich aber ist sie eine Schauspielerin, die einst eine Rolle in „Semmel, Wurst und Birkenwasser – Die liebestollen Handwerker“ spielte. „War die beste Freundin von Mooshammer“, versichert ein Münchner backstage.

Dagegen wirken die Entwürfe der Berlinerin Bernadett Penkov klar und frisch wie Mineralwasser. Mäntel mit kantigen Schnitten und ein Hemdblusenkleid, das bis oben zugeknöpft wird, alles in Grau- und Khakitönen. Selbst ihr bodenlanges, einschultriges Chiffonkleid ist von zurückhaltender Weiblichkeit, vielleicht weil eine untergelegte Korsage die fließende Silhouette unterbricht.

In der Brokatweste

Bei Vladimir Karaleev gibt es noch mal Berlin aus dem Bilderbuch. Junge Menschen in ironischer Mode (Brokatweste) sitzen in einem heruntergekommenen ehemals öffentlichen Gebäude (eine Schule?) auf dem Boden. Heizstrahler, leere Bierflaschen liegen herum, keine Aschenbecher. Vor weißen Stellwänden posieren Models, wobei sie tatsächlich einfach mit herunterhängenden Armen dastehen. Wahrscheinlich auch keine Models sind, sondern außergewöhnlich hübsche Studentinnen der Kulturwissenschaft.

Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, man hätte sich hier besonders Mühe mit irgendwas gegeben. Am Wollkleid sind die Schnittkanten unvernäht, ein Rock ist drapiert, als hätte die Frau, die ihn trägt, keine Taille, die nackten blassen Beine enden in schwarzen Herrenschuhen, was die gewollte Wirkung erzielt und ziemlich unvorteilhaft aussieht. Aber Karaleevs Mode erinnert daran, dass die grobe Schönheit Berlins nicht immer ein Unique Selling Point im Städtemarketing war, sondern auch einmal der Ästhetik einer Generation entsprach, die sich nicht mehr über besonders viele Dinge Illusionen machte.

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