„Fast alle von ihnen hatten Glück“

Neukölln baut in Tangelle, Sri Lanka, eine neue Siedlung für Tsunami-Opfer. Das Geld hat die Neuköllner Bevölkerung gespendet. Um deren Verwendung zu koordinieren, hat das Bezirksamt Frau Süllke als Beauftragte eingesetzt

taz: Frau Süllke, wie geht es den Menschen in Tangelle, Sri Lanka, ein Jahr nach dem Tsunami?

Franziska Süllke: Es gibt wieder ein Stück Normalität, aber die Tragödie ist dennoch präsent. Die Fischerfamilien, für die mit den Spenden aus Neukölln eine neue Siedlung entsteht, haben alles verloren, was sie besaßen; die Flutwelle hat alles mitgerissen.

Wie muss man sich die neue Siedlung und das Leben dort vorstellen?

Mit den 84.000 Euro aus Neukölln finanzieren wir 13 Häuser, inklusive Straßen, Stromnetz und Wasserleitungen, die in Zusammenarbeit mit der GTZ, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, in Sri Lanka errichtet werden. Die Siedlung ist etwa zwei Kilometer vom Meer entfernt; es ist gut zu erreichen. Eigentlich waren 15 Häuser geplant.

Warum wurden es nur 13?

Angebot und Nachfrage. Es gibt sehr viele Hilfsorganisationen mit Bauprojekten. Die Kosten für das Holz, um Dächer zu bauen, sind zum Beispiel um 61 Prozent gestiegen.

Wie erlebten die Familien dieser Siedlung den Tsunami?

Fast alle von ihnen hatten Glück im Unglück, sie verloren keine Angehörigen. Bis auf eine Familie, deren zwei Kinder umkamen. Diese Familie sondert sich ein bisschen ab von denen, deren Kinder überlebten. Die GTZ versucht, solche Familien psychologisch besonders zu betreuen. Außerdem soll ein nachbarschaftlicher Zusammenhalt entstehen.

Gab es den früher nicht?

Wo die Leute nah zusammenwohnten, ja. Aber durch die Katastrophe ist dieser Zusammenhalt oft zerrissen.

Es gibt neue Siedlungen, die nicht gut von der Bevölkerung angenommen werden. Warum?

Viele Siedlungen entstehen ohne Beteiligung der Familien, die in den Häusern wohnen sollen. Die persönlichen Bedürfnisse werden dann nicht unbedingt berücksichtigt. Die Siedlungen sind zum Beispiel zu weit weg vom Meer, dem Arbeitsplatz der Fischer.

Werden die Familien bei Ihrem Projekt mit einbezogen?

Das ist eine Voraussetzung. Alle Familien haben sich verpflichtet, den Bau mit Hilfsarbeiten zu unterstützen. Sie helfen beim Ausheben der Fundamente, beim Schippen der Gräben für die Wasserleitung oder beim Verputzen der Häuser. Eigenbeteiligung ist sehr wichtig, damit die Leute in ein normales Leben zurückfinden und sich mit dem Projekt identifizieren. Sie sollen von dieser Mentalität weg, mit der sie sich sagen: Es wird schon jemand kommen, der uns hilft. Sie müssen sich selbst helfen können.

Im März soll die Siedlung fertig sein. Was dann?

Bildung und Ausbildung werden in der Region immer wichtiger, besonders für die Frauen. Viele haben durch den Tsunami ihre Männer verloren. Plötzlich müssen sie selbst den Lebensunterhalt erwirtschaften. Ohne Ausbildung.

Was wird für sie getan?

So genannte einkommenssichernde Maßnahmen. Frauen erhalten Nähmaschinen oder Spinnräder, um aus Kokosnussfasern Seile zu produzieren.

Wird sich Neukölln weiter engagieren?

Im März fliegt eine Delegation nach Sri Lanka zur feierlichen Einweihung der Siedlung. Ob und wie wir uns danach weiter engagieren, werden wir dann mit den Partnern vor Ort besprechen.

INTERVIEW: GIUSEPPE PITRONACI