Neuauflage des Aidsprozesses in Libyen

Oberstes Gericht hebt Todesurteil gegen Bulgarinnen und Palästinenser auf. Begründung: Verfahrensmängel

BERLIN taz ■ Fünf bulgarische Krankenschwestern und ein palästinensischer Arzt können neue Hoffnung schöpfen: Der oberste libysche Gerichtshof hob am vergangenen Sonntag die gegen sie verhängten Todesurteile auf und verwies den Fall an eine untere Instanz zurück. Zur Begründung nannte das Gericht Verfahrensmängel und Formfehler.

Die fünf Bulgarinnen und der Palästinenser, die bereits seit 1999 in Haft sitzen, waren am 6. Mai 2004 von einem Strafgericht in Bengasi zum Tode durch Erschießen verurteilt worden. Sie waren für schuldig befunden worden, während ihrer Arbeit im Kinderkrankenhaus al-Fateh in Bengasi mehr als 400 libysche Kinder vorsätzlich mit dem Aidsvirus infiziert zu haben. 51 der Kinder sind mittlerweile gestorben.

Im Laufe des Verfahrens ignorierte das Gericht Expertisen namhafter internationaler Fachleute. Diese hatten dargelegt, dass die Aidsinfektionen in Bengasi auf die schlechten hygienischen Zustände in dem Krankenhaus zurückzuführen und erste Fälle bereits 1997 aufgetreten seien – ein Jahr bevor das bulgarische Team in der Klinik seine Arbeit aufnahm.

Auch Aussagen von zwei der beklagten Krankenschwestern, während der Verhöre mit Elektroschocks gefoltert und so zu Geständnissen gezwungen worden zu sein, fanden bei Gericht kein Gehör. Ein diesbezügliches Verfahren gegen zehn Libyer endete im vergangenen Jahr mit dem Freispruch aller Beteiligten.

Die Europäische Union und der Europarat begrüßten die Entscheidung. Auch der bulgarische Staatspräsident Georgij Parwanow sah am Wochenende „ein Licht am Ende des Tunnels“. Die Entscheidung „bestärkt uns in unserer Hoffnung, dass die Gerechtigkeit in diesem Fall siegen wird“, sagte er. „Wir werden einen sehr hohen Preis für die Befreiung der fünf bulgarischen Krankenschwestern zahlen.“

In der Vergangenheit hatte Tripolis Bulgarien mehrfach angeboten, im Falle von entsprechend hohen Entschädigungszahlungen an die Opfer und deren Familien auf die Todesstrafe zu verzichten. Sofia hatte dies stets mit der Begründung abgelehnt, derartige Zahlungen seien ein Schuldeingeständnis, die Verurteilten jedoch unschuldig. Am vergangenen Freitag wurde die Einrichtung eines Hilfsfonds für die HIV-infizierten libyschen Kinder vereinbart. An dem Fonds werden sich neben Bulgarien auch die EU und die USA beteiligen.

Nach der Bekanntgabe der Gerichtsentscheidung protestierten Angehörige der Opfer vor dem Gebäude. „Diese Entscheidung verlängert unser Leiden. Sie bedeutet aber nicht, dass die Todesstrafe nicht noch einmal von der unteren Instanz bestätigt werden kann“, sagte Ramdane Fizouri, Vorsitzender der Vereinigung der Familien infizierter Kinder. Neu verhandelt werden soll der Fall vor demselben Gericht, das schon einmal die Todesurteile verhängt hat. Allerdings wird die Kammer diesmal mit neuen Richtern besetzt sein. Der Prozess könne in einem Monat beginnen, kündigte Libyens Justizminister Ali Hasnawi an.

BARBARA OERTEL

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