Was in Küchen passiert

LOVE FOOD Global verdichtet: Martin Suters Roman „Der Koch“

Die Gepiercten und die Gepuderten – für seine Beobachtungen von alten Reichen und neuen Prekären liebt und fürchtet man ihn

VON ANDREAS FANIZADEH

Sie haben sich noch nie für Molekularküche interessiert? Dann sollten Sie Martin Suters neuen Roman „Der Koch“ lesen. Es könnte sich ändern. Denn hier kocht Maravan, gefeuerte sri-lankische Hilfskraft des Nobelrestaurants „Huwyler“, auf allerhöchstem Molekular-Niveau für therapeutische Zwecke oder die halbseidene Schweizer Kundschaft. Das „Love Menue“ besteht aus Minichapaties mit Curryblätter-Zimt-Kokosöl-Essenz, einem Ladies’-Fingers-Curry auf Sali-Reis mit Knoblauchschaum und zum Nachtisch gelierte Spargel-Ghee-Phallen. Die Rezepte sind im Anhang des Buches aufgeführt.

Bei Suter kocht der Asylbewerber vor wohlgeordneter Schweizer Kulisse auf Drei-Sterne-Niveau, mit Rotationsverdampfer. Maravans chemische Veredelungsrezepturen beschreibt Suter mit der gleichen Akribie wie zuvor die neurologischen Probleme, die oftmals als Grundlage früherer Romane dienten. Auch in „Der Koch“ geht es nebenbei wieder um bewusstseinsverändernde Prozesse, Aphrodisiaka, Chemie, Libido, Selbstfindung, gruppiert um halblegale Geschäfte und Politik als Verbrechen. Im Hintergrund spukt der große Krieg zwischen Sri Lankern und Tamilen, den die Tamil Tigers kürzlich verloren.

Bürger und Glücksritter

Suter, 61, ist der Gentleman unter den Schweizer Gegenwartsschriftstellern. Bohemian, Fernreisender und Minderheitenversteher. Erzähler aus dem Herzen der Gesellschaft, von der dunklen Seite der Mitte.

Meisterhaft trat er mit „Small World“ Ende der 1990er auf den Plan. Kein anderer Autor hat das bürgerliche Zürich seither mit solch literarischer Finesse beschrieben. Bevor er Schriftsteller wurde, hatte er beruflich mit Managern und Werbern zu tun, Akteure kennengelernt, die sich Autoren sonst oft mühsam erfinden. Hieraus schöpft Suter bis heute. Seine Bücher sind bevölkert mit Figuren aus Jet-Set oder traditionellem Bürgertum, Neureichen genauso wie Glücksrittern und Angestellten. An Suters Orten lebt man nahe beieinander und bleibt doch als Gruppe für sich. Ausnahmen sind möglich, wo es um schnelles Geld und Liebe geht.

Kulinarik und Krieg

Suter nennt nie die Stadt seiner Handlung. Doch unverkennbar spricht er von Zürich mit seinen sich aufgrund der Enge dauernd kreuzenden Milieus. Die Langstraße (Rotlicht und Alternativszene) und die Bahnhofstraße (Geld und Geschäfte) – in dieser symbolischen Gegensätzlichkeit hat Suter auch „Der Koch“ angelegt. Schauplatz sind die wenigen global verdichteten Straßen von Zürich-City, in denen gequeerte Modespezialisten, tätowierte Kellnerinnen, gegelte Business-Typen, Alpenländler und globalisierte eingewanderte Existenzen aufeinandertreffen und in Subkulturen parallel zueinander leben. Die Gepiercten und die Gepuderten, für seine treffsicheren Beobachtungen von alten Reichen und neuen Prekären, Dekadenz und Hinterwäldlern liebt und fürchtet man ihn über die Schweizer Grenze hinweg.

Suter ist ein Urbanist, der selber die meiste Zeit über mit Frau und Kind in Guatemala oder Spanien lebt. Wahrscheinlich kann es keinen aufgeklärten Schweizer geben, dem die Schweiz nicht zu klein ist. Doch solange es die Schweiz gibt, kommen Schweizer von ihr auch nicht los. Suters Sujet bleibt auch aus der Ferne eine gegen die Globalisierung kämpfende Eidgenossenschaft. In „Der Koch“ verwebt er die Schweiz in einen kulinarisch-libidinösen und kriegerisch-industriellen Weltkomplex.

Mitunter klingt das ein wenig kitschig. So neigt Suter, der Gerechte, doch zur leichten Verklärung des lauteren Charakters Maravans oder des äthiopischen Callgirls, während die sexuell unattraktiven und moralisch abgestumpften männlichen Waffenschweizer etwas überzeichnet wirken. Doch scheint dies wiederum verzeihbar angesichts der realen Dominanzumgebung, des isolationistischen, aber weltmächtigen Alpenmachos, des Exotismus gepaart mit Ausländerfeindlichkeit.

Das ungleiche Paar, der gefeuerte sri-lankische Hilfskoch und die attraktive lesbische Schweizer Kellnerin, das Suter zusammenbringt, eröffnet dagegen gewinnende und unterhaltsame Perspektiven. Suter lesen ist wie eine gute amerikanische Fernsehserie schauen. Und auch wenn es im letzten Drittel von „Der Koch“ gutmenschlich rumpelt, die präzise wiedergegebenen kleinen Alltagsgrotesken vor vertrauter städtischer Atmosphäre macht ihm so schnell keiner nach. Nicht auszuschließen, dass man sich nach der Lektüre unverhofft für Sri Lanka, Molekularküche samt Love Food interessiert.

Martin Suter: „Der Koch“. Diogenes, Zürich 2010. 310 Seiten, 21,90 Euro