Gezwungene Gäste

VON ASTRID GEISLER

Die fünfköpfige Familie des früheren Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, ist im Jemen entführt worden. Die Geiselnehmer hätten gestern Mittag den langjährigen Diplomaten zusammen mit seiner Frau und seinen drei Söhnen verschleppt, bestätigte das Außenministerium in Berlin.

Nach Angaben aus Regierungskreisen fuhr die Familie seit Heiligabend mit einer Reisegruppe durch das arabische Land. Es handele sich um eine Privatreise, organisiert von dem Reiseveranstalter Abu Taleb Group (ATG). Allerdings soll der frühere jemenitische Botschafter in Deutschland den früheren Diplomaten samt Frau und Kindern zu der Wüstentour eingeladen haben. Chrobogs Frau Magda ist Tochter des ägyptischen Schriftstellers Youssef Gohar und promovierte Orientalistin.

Die genauen Umstände und Hintergründe der Entführung waren gestern Abend noch unklar. Laut dem Reiseveranstalter, einem Partner des deutschen Reiseunternehmens Studiosus, wurde die Familie im Ostjemen von bewaffneten Stammesangehörigen verschleppt. Der von Soldaten begleitete Fahrzeugkonvoi der Gruppe sei auf dem Weg von Aden in die Hafenstadt El Mukalla gewesen. Beim Mittagessen in der Kleinstadt El Amran hätten sich die Soldaten von den Urlaubern entfernt.

Laut der jemenitischen Regierung kennt die örtliche Polizei den Aufenthaltsort der Chrobogs. Angeblich wollen die Geiselnehmer mit der Entführung Clan-Mitglieder freipressen, die unter anderem wegen Mordes im Gefängnis säßen. Es gehe unter anderem um einen Angehörigen des Stammes, der in der Hafenstadt Aden im Gefängnis sitze.

Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen angeblichen Entführer mit den Worten: „Die Geiseln sind in Sicherheit. Ihr Leben ist nicht in Gefahr und sie sind Gäste unseres Stammes.“ Auch der Reiseveranstalter ATG versicherte, alle fünf Entführten seien unverletzt, es gehe ihnen gut. Man habe telefonischen Kontakt zu der Familie, sie bekomme Essen und Trinken und werde gut behandelt. Sicherheitskräfte hätten das Gebiet abgeriegelt.

War es ein Zufall, dass die Jemeniten ausgerechnet die Familie des frühere Spitzendiplomaten verschleppten? Darüber konnte man gestern nur spekulieren. Der 1940 geborene Chrobog verbrachte praktisch sein gesamtes Berufsleben als Diplomat. Schon kurz nach seinem Eintreten in den Auswärtigen Dienst 1972 wurde er an die deutsche Vertretung bei der UNO in New York entsandt. Ab 1974 arbeitete er im Büro des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP). Von April 1995 bis Juli 2001 war er deutscher Botschafter in den USA. Seit Juli 2005 ist Chrobog Vorstandsvorsitzender der BMW Stiftung Herbert Quandt.

Mit Chrobog haben die Entführer einen Profi in Sachen Geiselnahmen erwischt. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass Chrobog selbst als Diplomat um das Leben deutscher Geiseln im Ausland kämpfte: Damals war er selbst Leiter eines Krisenstabes der Bundesregierung. Denn Entführer hatten vierzehn Touristen, darunter neun Deutsche, in der Sahara verschleppt. Sie wurden im August 2003 im Norden Malis freigelassen.

Noch vor acht Tagen hatte Chrobog im Zusammenhang mit der Entführung von Susanne Osthoff im Irak ein „Sozialversicherungsdenken“ mancher deutscher Bürger im Ausland kritisiert. Wer sich in Gefahr begeben, müsse das Risiko kennen, sagte er. Und weiter: „man erwartet ja immer eine Rundumversicherung des Staates, aber Wunder können wir nicht bewirken.“

Das Auswärtige Amt hat im Fall Chrobog einen Krisenstab eingerichtet. Man stehe in Verbindung zu „allen relevanten Stellen“ und bemühe sich um eine baldige glückliche Lösung des Falles, hieß es. MIT AFP