Das Unmögliche gesehen

VERFAHREN Im Prozess gegen den Sprayer „Oz“ widerlegt die Verteidigung eine Version der Polizei

Die Version von Andre H. ist objektiv unmöglich

ANDREAS BEUTH, RECHTSANWALT

Was hat der Zivilbeamte Andre H. gesehen, was will er gesehen haben und was kann er überhaupt gesehen haben? Das ist zurzeit die Gretchenfrage im Prozess gegen den Streetart-Künstler Walter Fischer alias „Oz“. Der Polizist gibt an, dass er Oz am 15. Januar 2012 aus einem Auto heraus mit dem Fernglas beim „Scratchen“ der Fensterfront des Bramfelder Lidl-Marktes beobachtet habe. Oz sei mit dem Fahrrad an den Fenstern vorbeigefahren und er habe gesehen, wie ein „heller langer Streifen entstanden“ sei.

Es ist einer von 18 Anklagepunkten wegen Sachbeschädigung gegen den Graffiti-Künstler, die seit 40 Prozesstagen vorm Amtsgericht St. Georg verhandelt werden – und zugleich der schwerwiegendste, denn Kratzer lassen sich nicht wieder entfernen. Während Fischer zu seinen vermeintlich gemalten Tags wie Smilies, Kringeln und seinem charakteristischen Oz schweigt, streitet der Sprayer diese Tat explizit ab. Das Zerkratzen von Fenstern wäre nicht sein Stil. Mit fünf Videofilmen belegten nun seine Verteidiger Andreas Beuth und Ingrid Witte-Rhode, dass die Version von Andre H. „objektiv unmöglich ist“. Denn vor der Fensterfront des besagten Supermarktes befinden sich 60 Zentimeter breite Fußwege. Wenn jemand auf dem Fußweg fahre und dabei die Scheiben scratche, könne er unmöglich die Balance halten, so die Verteidigung. Fahre jemand auf der Straße, sei wiederum der Abstand zu den Scheiben zum Zerkratzen zu groß.

Die Erklärung für die verzerrte Wahrnehmung des Polizisten H. könnte laut Verteidigung sein, dass er noch empört darüber war, dass Oz ihn zwei Wochen zuvor beschimpft hatte, als er ihn am U-Bahnhof Uhlandstraße stellte. „Verfolgt lieber die Unterstützer der Thüringer Neonazi-Gruppe und nicht harmlose Graffiti-Künstler“, hatte Fischer gesagt. Diesen Satz habe Andre H. als persönliche Beleidung aufgefasst.  KVA