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: Wenn die Wahrheit wuppert

Der Rechtsberater der taz, Peter Scheibe, gewährt einen Einblick in die Abgründe des deutschen Presserechts – heute die letzte Folge

Was haben „ein gewupperter Käppiträger“, ein „bekennender Ungefickter“ und eine „Möse“ gemeinsam? Für passionierte taz-Leser unschwer zu erraten: Alle tummelten sich 2005 auf der taz-Satireseite „Die Wahrheit“. Aber noch etwas verbindet sie: Auch der Deutsche Presserat in Bonn musste sich mit ihnen beschäftigen. Denn zu seinen Hauptaufgaben gehört die Behandlung von Beschwerden.

Als freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien setzt sich der Presserat zu gleichen Teilen aus Vertretern der Journalisten- und der Verlegerverbände zusammen. Im Unterschied zu kostspieligen Gerichtsprozessen ist das Beschwerdeverfahren beim Presserat gebührenfrei und kann nicht nur vom unmittelbar Betroffenen, sondern von jedermann eingeleitet werden. Werkzeug dabei ist der Pressekodex mit seinen publizistischen Grundsätzen und den zugehörigen Richtlinien – ein presseethischer Leitfaden also.

Obwohl Entscheidungen wie auch Sanktionen des Presserats juristisch nicht durchsetzbar sind, ist der Pressekodex allgemein anerkannt. Auch die taz hat sich ihm freiwillig unterworfen. Die vier Sanktionsmöglichkeiten bei einer begründeten Beschwerde reichen von der öffentlichen Rüge mit Abdruckverpflichtung und der nichtöffentlichen Rüge über die Missbilligung bis zum bloßen Hinweis. Während bis dahin kaum mal ein Beschwerdeverfahren gegen die taz eingeleitet wurde, erhielt die taz zwischen 1999 und 2002 mit unschöner Regelmäßigkeit jährlich mindestens eine Rüge als schärfste Sanktion.

Auch diese Entwicklung spricht für sich: Seit dem Ende der Neunzigerjahre wurde die taz von immer breiteren Leserkreisen wahrgenommen, woran auch der damalige Regierungswechsel in Berlin und diverse Blattreformen nicht ganz unschuldig gewesen sein dürften. Dass sie seither von Beschwerden fast völlig verschont blieb und nach zwei sanktionsfreien Jahren erst wieder im Jahr 2005 lediglich einen Hinweis erhielt, dürfte wiederum daran liegen, dass die größere Außenwahrnehmung der taz auch mit einer noch fundierteren Berichterstattung einher ging. Zum Vergleich: Einschließlich nichtöffentlicher Rügen erhielt die Bild-Zeitung mit Regionalausgaben allein seit 1999 über 50 Rügen vom Presserat. Ach so: Die „Wahrheit“ bleibt wohl auch weiterhin beliebteste taz-Zielscheibe für Beschwerden beim Presserat.

Dennoch wird man auch künftig in der taz von „gewupperten Käppiträgern“, „bekennenden Ungefickten“ und „Mösen“ lesen können – mit höchstem Segen des Presserats. Denn über Geschmacksfragen, so der Presserat in den Antwortschreiben auf diese Beschwerden, habe man nicht zu urteilen: „Die reine Benutzung von umgangssprachlichen Wörtern wie ‚Möse‘ etc. ist (…) kein Verstoß gegen den Pressekodex. Weder wird damit gegen die Menschenwürde verstoßen, noch liegt eine Diskriminierung von Frauen vor.“ Und auch der „gewupperte Käppiträger“ missachtet nach Auffassung des Presserats die Menschenwürde eines verstorbenen Papstes nicht. Amen.