Alles auf null, Diktator alt und frei

GUATEMALA Nach dem vorläufigen Scheitern des Prozesses gegen Exdiktator Ríoss Montt wegen eines Formfehlers kurz vor dem Ende des Verfahrens wird in Guatemala gerätselt, wie es nun weitergeht

SAN SALVADOR taz | Es ist ein historischer Prozess für Guatemala: Zum ersten Mal steht ein ehemaliger Militärdiktator wegen Völkermord vor Gericht, die Zeugen sind vernommen, die Plädoyers werden vorbereitet – und nun soll alles umsonst gewesen sein. Am Donnerstag vergangener Woche erklärte Carol Patricia Flores, Richterin der ersten Kammer für Hochrisikofälle in Guatemala-Stadt, den Prozess gegen Efraín Ríos Montt, Militärmachthaber in den Jahren 1982 und 1983, für nichtig. Mit ihm angeklagt war José Mauricio Rodríguez, damals Chef des militärischen Geheimdienstes. Beiden wird vorgeworfen, für einen Völkermord am Maya-Volk der Ixil verantwortlich zu sein. Die Begründung der Richterin für die Annullierung: Das Verfassungsgericht habe entschieden, dass es im Vorfeld des Prozesses einen Verfahrensfehler gegeben habe. Alles müsse deshalb noch einmal zurück auf den Stand von damals. „Ich mache das nicht, weil ich es will“, sagte Flores, „sondern weil das Verfassungsgericht es angeordnet hat.“

Yasmín Barrios jedoch, die vorsitzende Richterin im Völkermordprozess, hält die Anordnung ihrer Kollegin für rechtswidrig. „Kein öffentlicher Bediensteter ist verpflichtet, illegale Anweisungen zu befolgen“, sagte sie am Wochenende. „Er würde damit selbst ein Delikt begehen.“ Sie hat vorerst keine weiteren Verhandlungstage angesetzt und das Verfassungsgericht um Klärung angerufen. Auch die Generalstaatsanwaltschaft und Anwälte von Opfern haben beim Verfassungsgericht Beschwerde gegen die Annullierung eingereicht.

Der als Begründung für die Annullierung angeführte Formfehler geht zurück auf den November 2011. Ríos Montt war damals noch Abgeordneter und genoss parlamentarische Immunität, Anklage war noch gar nicht erhoben. Flores war als Ermittlungsrichterin mit dem Fall befasst. Die Anwälte des heute 86-jährigen Exdiktators verlangten ihre Ablösung wegen Befangenheit. Sie klagten diese Eingabe bis zum Verfassungsgericht durch. Flores gab den Fall ab. Doch nun entschied das Verfassungsgericht: Flores ist gar nicht befangen. Also, schloss Flores, müsse sie den Fall auf dem Stand von November 2011 wieder übernehmen.

Zwanzig Tage lange hatte das Gericht seit Mitte März Zeugen vernommen und Experten angehört. Konkret geht es bei dem Prozess um mehrere Massaker in der Provinz Quiché, bei denen 1.771 Zivilisten vom Volk der Ixil ermordet worden waren. Mehr als ein Drittel waren Kinder unter zwölf Jahren. Das Gericht hörte Dutzende Überlebende, die damals entkommen konnten und nun erzählten, wie Babys aufgeschlitzt wurden, um ihnen das Herz herauszureißen, wie ganze Dörfer niedergebrannt und ihre Bewohner erschlagen wurden. Auch ehemalige Soldaten wurden vernommen. Einer von ihnen sagte aus, auch der heutige Präsident Otto Pérez Molina, damals Feldkommandant im Quiché, habe Massaker an der indianischen Bevölkerung angeordnet. Das Gericht hatte die Verteidiger und die Staatsanwaltschaft bereits aufgefordert, die Plädoyers vorzubereiten. Das Urteil wurde für die kommende Woche erwartet.

Veteranenverbände des Heeres und die extreme politische Rechte hatten in der vergangenen Woche versucht, dieses Urteil mit großflächigen Anzeigen in den Tageszeitungen zu beeinflussen. In den Jahren des Bürgerkriegs (1960 bis 1996) habe es in Guatemala keinen Völkermord gegeben, wurde da behauptet. Das hatte die UN-Wahrheitskommission 1990 ganz anders gesehen. CECIBEL ROMERO