RUCH-BERICHT I: AUS DER CHARLOTTENSTRASSE
: Wer im Glashaus sitzt …

„Die taz wird vermutlich die erste Tageszeitung sein, die sich ein tägliches Erscheinen nicht mehr leisten kann“, liest man in einem Interview des Mediendienstes Kress-Report mit dem Spiegel-Gesellschafter und Freitag-Verleger Jakob Augstein und wundert sich. Hat er da was nicht mitbekommen, weil er mit anderen Dingen beschäftigt war? War es nicht das Verlagshaus Gruner + Jahr, das sich seine Financial Times Deutschland, war es nicht die SPD mit dem Medienhaus Dumont Schauberg, die sich die Frankfurter Rundschau nicht mehr leisten wollten? Steht nicht gerade die taz besser da als andere, weil sie ein anderes Geschäftsmodell hat und vom Anzeigengeschäft nicht existenziell abhängig ist?

Die gedruckten Medien sind in Not. Schlagzeilen, die man heute beinahe jeden Tag über entlassene Chefredakteure und aufgelöste Redaktionen lesen kann, haben immer den gleichen Hintergrund: die gedruckten Auflagen sind im Sturzflug, Leser und Anzeigenkunden wenden sich dem Digitalen zu.

Die Verlage müssen sich beeilen, wenn sie die digitale Zukunft noch erreichen wollen. Dabei ist Größe beim notwendigen Wandel keineswegs ein Vorteil. Auch Marktführer können abstürzen. Wichtiger als Größe für das Überleben ist die Frage, ob ein Verlag heute mit diversifizierten Geschäftsmodellen antritt und nicht einseitig abhängig ist.

Das gibt es bei Verlagen aber nur selten. Meist lebten sie von Zeitungskäufern und Annoncenkunden sehr gut – und dieses Geschäftsmodell wird nun zunehmend schlechter.

Nehmen wir den Spiegel, der nicht nur seine Chefs rausschmiss, sondern auch das gerade neu gestartete Magazin, die deutsche Ausgabe des New Scientist, ohne jede Schamfrist sofort wieder vom Markt nimmt. Sieht das nicht nach Panik und Feuer unterm Dachstuhl aus?

Dabei weist der Spiegel in seiner letzten veröffentlichten Konzernbilanz 2011 einen Umsatz von 317 Millionen Euro und einen Gewinn von 43 Millionen aus, was ja sehr gut aussieht. Die Umsätze verteilen sich auf Anzeigen (92 Millionen Euro), Vertrieb (140), TV (46) und Online (32). Das sieht dann schon weniger gut aus, weil den drei konventionellen Erlösbereichen, die heute stark unter Druck stehen, der Zukunftserlösbereich Online mit einem Anteil von nur 10 Prozent am Gesamten gegenübersteht.

So oder ähnlich sehen heutzutage in vielen Verlagshäusern die Rechnungen aus. Von einem Rückgang der traditionellen Kernerlöse ist sicher auszugehen. Wie viel am Ende mit digitalen Geschäften kompensiert werden, ist höchst unsicher.

Apropos Augstein. Mit den Gewinnen aus seinem Gesellschafteranteil von 6 Prozent am Spiegel sichert Jakob Augstein löblicherweise das Erscheinen der Wochenzeitung Freitag, an der er über seinen 50-Kanonen-Verlag beteiligt ist. Ausweislich der letzen veröffentlichten Bilanz 2011 dieses Verlages kostet das im Jahr über 2 Millionen Euro. Bleibt zu hoffen, dass die Spiegel-Quelle nicht vertrocknet.

Karl-Heinz Ruch, Jahrgang 1954, ist seit 1979 taz-Geschäftsführer. Hier analysiert er regelmäßig die taz und andere Medien. Sein und Andreas Bulls Büro liegen in der Charlottenstraße, schräg gegenüber dem taz-MutterVaterhaus