Blind Date mit der Kanzlerin

KÜNSTLERFILM Kunst ins Kino? Das neue Münchner Filmfest „Kino der Kunst“ sucht noch den Ort, sich über diese Frage auszutauschen

Die Sache fordert „unabdingbare, konzentrierte, mehrstündige Aufmerksamkeit“ ein

VON K. ERIK FRANZEN

Angela Merkel sollte sich den kurzen Cartoon-Film doch noch ansehen. Die Kanzlerin habe keine Zeit dafür, hieß die mehr oder weniger offizielle Verlautbarung ihres Büros. Jochen Kuhn, Professor an der Filmakademie Baden-Württemberg, hat seinen vierzehnminütigen Kurzfilm „Sonntag 3“ vor der Premiere ins Kanzleramt geschickt – mit oben erwähnter Rückmeldung. Im dritten Teil seiner Reihe von Filmen über die deutsche Wirklichkeit zwischen Politik und Poesie am Beispiel von fiktiven Sonntagsausflügen führt Kuhn den Zuschauer in das Grand Café. Dort hat der Protagonist, also Kuhn selbst, ein Blind Date mit der Kanzlerin. Ein Treffen, das anders verläuft, als beide sich das gedacht haben: Merkel möchte jemanden zum Kuscheln für ungefähr zwei- bis dreimal pro Jahr. Kuhn ist überfordert mit der eisernen Kanzlerin, die einen Kerl und keinen Softie braucht.

„Sonntag 3“ lief im Internationalen Wettbewerb des neuen, gerade zu Ende gegangenen Filmfestivals „Kino der Kunst“ in München. Er ist ein schönes Beispiel dafür, was die Verantwortlichen des Festivals zeigen wollten. Jochen Kuhn ist Maler, Autor von Drehbüchern, er schreibt Filmmusiken und er macht schließlich und endlich Filme – deren Ausgangspunkt zumeist gemalte Bilder sind, die er dann abfilmt. Filme, die ihren Ort in Museen und in Ausstellungen haben, nicht im Kino. Genau solchen Werken wollte Heinz Peter Schwerfel, der künstlerische Leiter der mehrtägigen Veranstaltung, einen Platz geben auf der ganz großen Leinwand.

Der profitorientierte Kunstbetrieb als Retter des künstlerischen Films? Ausgangspunkt war die These, dass mit den guten, alten Programmkinos nicht nur die Abspielstätten für Filme jenseits kommerzieller Erzählstrukturen, sondern auch ein „mentaler Raum“ verloren gegangen sei. Nun also das Festival, das sich nicht nur an Künstler und Kuratoren, sondern in erster Linie gerade an das Publikum wendet.

Schwerfel weiß um die Zumutung für die Zuschauer, wenn er deren „unabdingbare, konzentrierte, mehrstündige Aufmerksamkeit“ einfordert. Um den Betrachtern die „zeitweise Selbstaufgabe“ schmackhaft zu machen, hatte man das Festival mit allem ausgestattet, was ein international renommiertes Festival auszeichnet. Ein hochkarätiges Kuratorium mit der für ihre herausragende Kunstvideo-Sammlung zu Recht gerühmten Ingvild Goetz als Vorsitzende und die Jury des internationalen Wettbewerbs mit Cindy Sherman, der Schauspielerin Amira Casar, der Kuratorin Defne Ayas und Isaac Julien bürgten für Sachverstand und leidenschaftliches Interesse am Künstlerfilm.

Julien war darüber hinaus die gelungene Retrospektive gewidmet – gelungen deshalb, weil man mit dem vielfach ausgezeichneten Künstler einen Vorzeigeprotagonisten antikonformer künstlerischer Haltungen einbinden konnte. Nicht nur Juliens mittlerweile schon als Klassiker zu bezeichnende kurze und längere Filme, sondern auch seine Mehr-Kanal-Installationen bildeten einen Fixpunkt des Festivals.

Es gab zudem ein bereits im Vorfeld als historische Grundierung gezeigtes Programm mit Filmen unter anderem von Walter Ruttmann, Hans Richter und Man Ray sowie von Julian Schnabel, Pipilotti Rist und Rebecca Horn. Derart mit Referenzen beladen, konnte man sich ins Galerienprogramm stürzen, oder konnte Künstlergesprächen in der soeben eröffneten „Schaustelle“ zuhören, der Interimsausstellungshalle der jetzt schon sanierungsbedürftigen Pinakothek der Moderne.

Angesichts der Vielfalt der Formensprache vor dem Hintergrund verschiedenster kultureller Traditionen ist es unmöglich, einen kleinsten gemeinsamen Nenner für die ästhetischen Zugriffe der einzelnen Künstler aus aller Welt zu formulieren: vom Zeichenfilm über den Trickfilm und die Dokufiction zum experimentellen Ansatz und wieder zurück. Der Versuch, die einzelnen Slots durch Titel wie „Körperwelten“ oder „Rituale“ zusammenzubinden, war ebenso ambitioniert wie vergeblich.

Als einen elementaren Mangel jedoch empfanden viele Besucher, dass eine Atmosphäre eines intensiven, lebendigen und leichten Austauschs nicht entstand: Eine entsprechende Plattform konnte auch die als Hauptspielort fungierende Hochschule für Fernsehen und Film nicht bieten. Der Kopf war da, aber das Herz fehlte.

Warum wird man im Kinosaal eingesperrt? Ist Bewegungsfreiheit nicht auch eine Form von mentaler Freiheit? Welche Bedeutung hat das direkte Umfeld auf die Wirkung eines Films? Hier, im zu sterilen, zu schönen großen Kinosaal, verloren die meisten der Filme an Strahlkraft. Wie sonst ist die teilweise apathische Reaktion der Zuschauer auf die Screenings zu erklären? Unter stärkerer Einbeziehung des öffentlichen Raums als bisher oder durch die Einbindung alternativer Spielstätten könnte ein wirklich publikumsnahes Festival des Künstlerfilms in München durchaus seine Berechtigung haben.