„Ich verspüre ein Gefühl von Gerechtigkeit“

Der Vorstand der Palästinensischen Gemeinde in Berlin hält Ariel Scharon für einen „Kriegsverbrecher“. Viele hier lebende Palästinenser erinnern sich noch an Massaker in Flüchtlingslagern, für die Scharon mitverantwortlich war

„Niemand freut sich, wenn jemand im Sterben liegt“, sagt Walid Chahrour vom Vorstand der Palästinensischen Gemeinde. Doch in Scharons Fall verspüre er „ein Gefühl von Gerechtigkeit“. Der Name des iraelischen Ministerpräsidenten sei für viele Palästinenser mit Schrecken verbunden. „Für uns ist er ein Kriegsverbrecher“, sagt Chahrour.

Die Mehrheit der in Berlin lebenden Palästinenser, deren Zahl auf 15- bis 25.000 geschätzt wird, stammt aus libanesischen Flüchtlingslagern. Viele erinnern sich persönlich an die Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila im Libanon 1982. Der damalige Verteidungsminister Ariel Scharon hatte ein Jahr später seinen Posten räumen müssen, nachdem ihm eine israelische Untersuchungskommission Mitverantwortung für die Taten attestierte.

„Schlimmer kann ein Nachfolger nicht werden“, meint der Berliner Palästinenser Chahrour. Auch die Bereitschaft, besetzte Gebiete zu räumen, habe Scharons Bild bei den Palästinensern nicht verbessert. „40 Prozent der besetzten Gebiete will er zurückgeben. Das heißt: 60 Prozent will er behalten. Und in ummauerte Ghettos verwandeln.“

Ahmed Shah dagegen sagt: „Bei uns gibt es keine großen Diskussionen über Scharons Krankheit oder Nachfolge.“ Der Berliner britisch-pakistanischer Herkunft leitet ein Theaterprojekt mit arabischen, türkischen, deutschen und anderen Jugendlichen in Moabit. Das letzte Stück drehte sich um die Intifada, derzeit arbeitet die Gruppe an einem Stück über eine Jüdin, die die Befreiung Auschwitz’ erlebte.

Auch in Shahs Theatergruppe sind junge Erwachsene aus den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Ihre Erinnerungen seien sehr lebendig, sagt Shah: „Keiner hier würde Scharon eine Träne nachweinen“, vermutet er.

Doch mit der aktuellen Lage in Israel und Palästina oder gar der Frage nach einem Nachfolger Scharons würden sich die Jugendlichen wenig befassen. „Heute leben sie eben hier.“

Auch Shadi Musa sagt: „Scharon ist bei uns kein heißes Thema.“ Der Palästinenser leitet eine interkulturelle Jugendeinrichtung in Neukölln, in der viele arabische und palästinensische Jugendliche verkehren. Die Jugendlichen beschäftigten sich mit Themen wie Schule oder Ausbildung, aber nicht mit Politik. Auch viele seiner Schützlinge stammten aus Flüchtlingslagern: „Da denkt kaum jemand an eine Rückkehr“, sagt Musa. „Die Jungen haben andere Interessen als die erste Generation.“ AWI