KOMMENTAR VON REINER WANDLER ZUM DIESJÄHRIGEN 1. MAI UND DER MANGELHAFTEN INTERNATIONALEN SOLIDARITÄT
: Vorwärts, doch längst vergessen

Es ist nicht so schwer zu erklären, dass des einen Reichtum des anderen Armut ist

Nichts als Sonntagsreden: So könnte des Resümee des diesjährigen 1. Mai lauten. DGB-Chef Michael Sommer predigte das „soziale Europa“, „gute Arbeit“ und „sichere Rente“. Seine Kollegin im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), Bernadette Ségol, tat es ihm gleich und redete von der „Förderung des europäischen Sozialmodells“.

Beide scheinen dabei völlig zu übersehen, dass dies für viele in der EU und auch im reichen Deutschland selbst längst Geschichte ist. Der Alltag ist prekäre Arbeit, Kürzungen im Rentensystem und ein Europa, das dem Diktat der Großbanken und der Märkte gehorcht. Während Brüssel und Berlin immer weiter an den Sparschrauben drehen und Länder wie Griechenland, Portugal, Zypern oder Spanien an den Rand ihrer Existenz bringen, verabschiedet der EGB Studien zu einem europäischen Marshallplan, analysiert die Binnennachfrage als Lösung für die Arbeitslosigkeit, versagt aber bei der Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung für ihre Interessen und für Solidarität mit den anderen völlig.

Traurigstes Beispiel für die fehlende europäische Solidarität war der Aktionstag im vergangenen November. Während in Südeuropa erfolgreich zum Generalstreik aufgerufen wurde, veranstaltete der DGB Kundgebungen, die über ein paar Hundert Teilnehmende nicht hinausgingen. Dabei wäre es nicht so schwer zu erklären, dass des einen Reichtum des anderen Armut ist.

Stattdessen haben sich viele Gewerkschafter im reichen Teil Europas in die nationalen Interessen einbinden lassen. Gewerkschaftspolitik in den Ländern, die sich wie Deutschland bislang der Krise weitgehend entziehen konnten, ist immer mehr zur Klientelpolitik geworden. Solidarität mit den KollegInnen im Süden ist dagegen ein heißes Pflaster. Die Legende der konservativen Sparpolitiker, nach der Südeuropäer über ihre Verhältnisse gelebt haben und jetzt eine Gefahr für Sparer und Rentner im Norden darstellen, wird auch an der Gewerkschaftsbasis geglaubt. Die fehlende Einheit der europäischen Gewerkschaftsbewegung fiel in den Jahren der Hochkonjunktur wenig ins Gewicht. Doch in der Krise, in der die EU auf Rezepte setzt, die offensichtlich nicht funktionieren, rächt sich das. Eine traurige Entwicklung in Zeiten, in denen Europa – nicht zuletzt um das Projekt der Einheit zu retten – starke, solidarische Arbeitnehmerorganisationen nötiger hätte denn je.