Hip, hipper in Mainz

KULTUR Wenig Historie, dafür viel Moderne: Start des Jüdischen Kulturfestivals

AUS MAINZ ARNO FRANK

Noch vor Kinky Friedman betrat Peter Waldmann die Bühne im Frankfurter Hof zu Mainz. Der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Rheinland Pfalz wollte den Star des Abends ankündigen. In der linken Hand hielt er dabei linkisch eine eben angezündete Filterzigarette, was launige Publikumsfragen provozierte: „Dürfen wir auch rauchen?“ Waldmann konterte: „Nein, dürfen Sie nicht, ich habe auch eben erst angefangen“, und kein Geringer als Kinky Friedman habe ihn dazu verleitet. Und so gehörte „The Kinkster“ die Bühne, bevor er sie überhaupt betreten hatte. Ein guter Anfang.

Das Konzert des kultisch verehrten Countrytroubadours und Schriftstellers aus Texas markierte den Auftakt eines Festivals, mit dem in Mainz noch bis zum 22. August jüdische Kultur präsentiert wird: „Hip im Exil“ soll verschiedene „Facetten des Judentums 2013“ zeigen – wobei mit der Jahreszahl ganz bewusst Aktualität betont werden soll. Es geht nicht um das Judentum von 1096, als es in der Stadt die ersten Verfolgungen gab, nicht um Berlin 1933 oder Deutschland 1938. Es geht eher um San Francisco 1965, New York 1976, London 1977 oder Detroit 1985.

In erster Linie soll „Hip im Exil“ die Auseinandersetzung mit dem Judentum „aus der dunklen Ecke der Befangenheit holen“, wie Waldmann formuliert. Befangen sei vor allem „die Außenwelt“, die mit Juden nicht nur in der neuen Mainzer Synagoge zu einem „intellektuellen Austausch“ kommen müsse. Das „Judentum“ solle sich öffnen und sichtbar machen, nicht nur am 9. November: das Gefühl, nirgendwo richtig hinzugehören und latent bedroht zu sein.

Es solle eine Verortung einmal ohne Betonung auf einer fast schon gewohnheitsmäßigen Betroffenheit unternommen werden, so Peter Waldmann. Andernorts wird das mit musealen Mitteln versucht, wie derzeit in Frankfurt mit einer eher bedrückenden Ausstellung über die Juden und das Geld. In Mainz liegt der Schwerpunkt auf fröhlicheren Wissenschaften und einer Kultur, die ihre entscheidenden Impulse oft von Juden empfängt – frei nach einer Textzeile von Leonard Cohen: „We are ugly but we have the music.“ Es darf aber auch einfach nur eine abweichende Meinung sein oder der Blick dessen, der das Gefühl der Ausgrenzung in der Diaspora kreativ zu nutzen weiß.

Gerade in der populären Musik kann der Einfluss jüdischer Künstler nicht hoch genug veranschlagt werden, von Bob Dylan über Leonard Cohen bis zu Paul Simon. Auch ein Jazzmusiker wie John Zorn hat seine Identität immer offensiv zum Thema gemacht; dass es – von Jonathan Richman über Joey Ramone bis zu Malcolm McLaren – auch so etwas wie eine „geheime Geschichte des jüdischen Punk“ gibt, ist erst 2008 mit dem Buch „The Heebie-Jeebies at CBGB’s“ von Steven Lee Beeber ausreichend gewürdigt worden. Genau hier, bei der heiteren Freilegung jüdischer Wurzeln, setzt „Hip im Exil“ an.

Dieser moderne Ansatz zahlt sich aus. „Wir waren vom Erfolg sehr überrascht“, so Waldmann über das Festival 2012: „Wir mussten uns erst einüben. Dieses Jahr wird es professioneller.“ Es tritt Wladimir Kaminer als Unterhalter auf, Robert Menasse als Essayist und die Germanistin Ruth Klüger als Autobiografin. Dass die „Nazijäger“ Beate und Serge Klarsfeld von ihrer Arbeit und aus ihrem Leben erzählen werden, gehört zu den wenigen historisierenden Elementen des Festivals. Dessen Intentionen entgegen kommt der Vortrag der Künstlerinnen Lisa Bolyos und Katharina Morawek, die sich mit Geschichtspolitik im Postnazismus beschäftigen – ausgehend von der Attacke auf die Wachsfigur Adolf Hitlers bei Madame Tussauds 2008 in Berlin.

Über jede Didaktik erhaben war dagegen glücklicherweise der Abend mit Kinky Friedman: zwei sehr kurzweilige Lehrstunden über das Thema, was jüdische Identität in der texanischen Diaspora bedeuten könnte – und welche schöpferischen Funken sich daraus schlagen lassen. Der 68-Jährige bestritt den Gig alleine auf nackter Bühne. Mikro, Gitarre und ein Tisch mit Tequila und Wasser, mehr brauchte er nicht. Sein einziger Special Effect war die flüssige Bewegung, mit der er den Gitarrengurt unter seinem Cowboyhut hindurch anlegte. Sein intimer, angenehm folkiger Country bricht ohnehin mit allen Klischees des Genres. Die Helden, um die seine Geschichten zärtlich kreisen, sind immer die Outlaws (Kriminelle), die Nigger (Afroamerikaner), die Wetbacks (Mexikaner) und andere Außenseiter, deren Lebensgefühl Friedman lakonisch auf den Punkt bringt: „I’m the wild man from Borneo / You come to see what you want to see / But you never come to know.“

Kinky Friedman rührte an diesem Abend ebenso zum Lachen wie zu Tränen. Bevor er die Bühne verließ, verriet er noch, mit welcher Weisheit er Waldmann zum Rauchen verführt hatte: „Find out what you love. And let it kill you.“

■ „Hip im Exil II – Facetten des Judentums 2013“. Bis zum 22. August in Mainz, www.juedisches-kulturfestival.de