DER KULINARISCHE SEKTOR IN ZEITEN DER WIRTSCHAFTSKRISE
: Die Schinkenspekulation

VON REINER WANDLER

NEBENSACHEN AUS MADRID

Spaniens Wirtschaftskrise lässt sich in Schinken messen. Die Nachfrage nach den luftgetrockneten Schweinskeulen steigt, wenn es den Spaniern gut geht. Und sie fällt in Krisenzeiten. Jetzt nachdem die Immobilienblase geplatzt ist, die zehn Jahre lang ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum bescherte, sind schlechte Zeiten für den Jamón Ibérico und den Jamón Serrano angebrochen. Bei 20 Prozent Arbeitslosen wurden selbst an Weihnachten weniger Schinken verkauft als üblich. Nicht nur die Privathaushalte hielten sich zurück. Viele Unternehmen verzichteten dieses Jahr auf die Geschenkkörbe für Angestellte und gute Kunden, in denen neben einem Wein aus der Rioja ein Schinken aus Südspanien nicht fehlen darf.

Doch es ist nicht nur die sinkende Nachfrage, die der Schinkenproduktion zu schaffen macht. Das Geschäft mit den Schweinskeulen, die bei keinem feierlichen Anlass fehlen dürfen, produzierte in den Jahren des Baubooms seine eigene Spekulationsblase. So mancher, der mit dem Immobiliengeschäft reich geworden war, investierte in Schinken. Die Züchter vergrößerten ihre Herden. Die Betriebe, die die Keulen zum Trocknen aufhängen, bauten aus. Die Produktion stieg bis auf zehn Millionen Stück pro Jahr.

Doch jetzt sind die Zeiten der schnellen Gewinne vorbei. Die Wohnungspreise sinken. Gebaut wird kaum noch und die Banken vergeben keine Kredite mehr. Allerorts sind Schinken über. Und die Produzenten müssen verkaufen, und das um jeden Preis. Das leckere Trockenfleisch ist für Endabnehmer 50 Prozent billiger als 2007, dem letzten Jahr vor der Krise.

Wer die Schinken gar en gros kauft, muss noch weniger bezahlen. Längst sind die Schweinskeulen so günstig, dass sie als Werbegeschenk dienen. Ob bei der Eröffnung eines Sparkontos, der Buchung einer Fernreise oder beim Kauf einer Wohnung – immer öfter gibt es einen Schinken als Anreiz dazu.

Eine Erholung des Sektors ist nicht in Sicht. Vor allem den gutgereiften, teuren Schinken von freilaufenden, mit Eicheln ernährten Schweinen steht das Schlimmste noch bevor. Sie werden bis zu drei Jahre getrocknet. Die Lager sind voll. Dieses Jahr kommt die Produktion des letzten Boomjahres 2007 auf den Markt. Wenn sich die spanische Wirtschaftslage bis zum kommenden Weihnachtsfest nicht erholt, werden sie keine Abnehmer finden. Mit Kilopreisen von über 100 Euro sind diese edlen Stücke kaum als Lockmittel für Sparkassenkunden geeignet.