Die Krise erreicht den Kern

KONJUNKTUR Die Sparpolitik in der Eurozone zieht jetzt auch Länder wie Frankreich, Holland und Finnland in Mitleidenschaft. Selbst in Deutschland ist nicht alles gut

Frankreich als „Modell für eine falsche Wirtschaftspolitik“

FDP-SPITZENKANDIDAT BRÜDERLE

AUS BRÜSSEL ERIC BONSE

Der Aufschwung fällt dieses Jahr ins Wasser. In ihrer Frühjahrsprognose prophezeit die EU-Kommission den 17 Euromitgliedern nicht nur eine längere und härtere Rezession. Sie hat auch ihre Prognosen für Deutschland, Frankreich und andere Kernländer der Eurozone heruntergeschraubt – und vor Selbstzufriedenheit gewarnt.

Kommissionschef José Manuel Barroso lobte in der Welt am Sonntag zwar die Bundesregierung für ihr Engagement für Europa. Doch auch Deutschland müsse seine Hausaufgaben machen und beispielsweise bei Dienstleistungen und Infrastrukturprojekten seinen Markt stärker als bisher öffnen. „Selbstzufriedenheit wäre gefährlich für Deutschland“, warnte Barroso.

Zuvor hatte Währungskommissar Olli Rehn die Wachstumsprognose für Deutschland von 0,5 auf 0,4 Prozent gesenkt. Das reicht nicht mehr, um die Eurozone aus der Krise zu ziehen und als „Konjunkturlokomotive“ zu wirken. Im Euroraum schrumpft die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um 0,4 Prozent – das sind 0,1 Punkte mehr als noch im Februar erwartet wurde.

In 9 der 17 Eurostaaten wird sich die Wirtschaft demnach im Rückwärtsgang entwickeln, allen voran in den südlichen Krisenländern Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern. Zypern weist mit voraussichtlich 8,7 Prozent das größte Minus auf.

Doch nicht nur die südliche Peripherie leidet. Inzwischen kommt die Krise in den Kernländern des Nordens an. Unter ihnen stehen die Niederlande am schlechtesten da: Wegen einer Immobilien- und Bankenkrise soll die Wirtschaft 2013 dort um 0,8 Prozent schrumpfen. Danach kommen Frankreich mit –0,1 und Belgien mit 0 Prozent Wachstum. Selbst in Finnland, das lange als Musterland galt, dürfte die Wirtschaft gerade mal um 0,3 Prozent wachsen.

Die einseitige, vor allem von Deutschland forcierte Sparpolitik in der Währungsunion trifft mittlerweile also selbst die Deutschland besonders eng verbundenen Länder. Dies zeigt sich auch beim Budgetdefizit.

Frankreich dürfte 2013 und 2014 gleich zweimal die in der Währungsunion geltende Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verletzen. Rehn will Paris deshalb zwei Jahre Aufschub zum Erreichen des Sparziels geben. Dasselbe gilt aber für die Niederlande, die Heimat von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Auch Den Haag reißt 2013 und 2014 die 3-Prozent-Latte.

Doch darüber spricht man in Berlin nicht so gern. Viel lieber hackt die schwarz-gelbe Koalition auf den Sozialisten in Paris herum. Mehrere Koalitionspolitiker kritisierten am Wochenende den geplanten Aufschub für Frankreich. „Ich halte das nicht für richtig. Frankreich darf keinen Sonderweg für sich beanspruchen“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum.

FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle denunzierte Frankreich sogar als „Modell für eine falsche Wirtschaftspolitik“. Nur Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nahm die Franzosen in Schutz. Solange sie Reformen vorantreiben, könnten sie auch eine flexible Auslegung des Stabilitätspakts erwarten.

Der Ausgang dieses Streits ist offen. Ende Mai veröffentlicht die EU-Kommission ihre Reformempfehlungen. Erst dann wird man auch wissen, welche Hausaufgaben Deutschland noch umsetzen muss.