Die Optimisten leben im Norden

EUROSTATBERICHT Jährlich erhebt die EU-Kommission den Sozialbericht. Darin bewerten die Menschen in den Mitgliedstaaten ihre persönliche Situation und ihre Zukunftsaussichten

Für die Zukunft erwarten die Europäer, dass sich ihre Lebenssituation verschlechtert

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Trotz der Wirtschaftskrise sind die Europäer mit ihrem persönlichen Leben nicht unzufrieden – auf einer Skala von minus zehn bis plus zehn vergeben sie im Schnitt immerhin 3,5 Pluspunkte. Das ergibt sich aus einer statistischen Aufbereitung von Interviews des vergangenen Sommers, die die EU-Kommission gestern veröffentlichte. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern sind allerdings gewaltig. Während Schweden und Dänen rundum zufrieden ihr Leben mit plus 6 benoten, bewerten Ungarn und Bulgaren ihre Lebensqualität mit minus 1,5. Die Deutschen halten sich mit plus 3,3 im Mittelfeld.

Deutlich negativer als ihr eigenes Leben beurteilen die Menschen die allgemeine soziale Lage. Die dänischen Optimisten benoten die Lage mit 1,4 und den sozialen Standard ihres Landes mit 1,5 positiv. Fast alle anderen Europäer vergeben in diesen beiden Kategorien Minuspunkte. Die Deutschen bewerten die allgemeine Lage mit minus 1,3 und das Sozialsystem mit 0 Punkten. Ungarn und Bulgaren sind auch in dieser Kategorie die größten Pessimisten.

Auf 253 Seiten fühlt der aktuelle Eurostatbericht den Europäern den Puls, fragt nach ihrem Vertrauen in die Verwaltung, ins Gesundheitswesen und in die Zukunft. Keineswegs alle Daten stammen aus dem vergangenen Sommer, die Wohnungsstatistik zum Beispiel stützt sich auf Zahlen aus dem Jahr 2007. Man mag sich fragen, was ein solcher Wust an Befindlichkeitsdaten, die schon morgen durch eine höhere Arbeitslosenquote überholt sein können, an politischen Erkenntnissen bringen soll.

Die EU-Kommission erstellt die Sozialberichte alljährlich im Auftrag der Mitgliedstaaten. Die nämlich haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen in den Mitgliedsländern anzugleichen und gleichzeitig anzuheben. Da es aber keine verbindlichen europäischen Sozialstandards, bleibt ihnen nur die Methode des Messens und Vergleichens. Wer in einer solchen Statistik schlecht abschneidet, soll sich aufgefordert fühlen, nach den Ursachen zu forschen und sich bei den Nachbarn bessere Rezepte abzuschauen.

Mit dem Gesundheitswesen zum Beispiel sind Belgier, Holländer und Luxemburger überaus zufrieden. Die Deutschen vergeben Durchschnittsnoten. Am schlechtesten schneidet auch hier Bulgarien ab, dicht gefolgt von Rumänien und Griechenland, wo sich die Menschen ebenfalls nicht gut versorgt fühlen. Miete, Heizkosten und Instandhaltung der Wohnung fressen einen immer höheren Anteil des monatlichen Einkommens der Europäer weg – in den vergangenen zehn Jahren sind diese Kosten um vier Prozent angestiegen. Auch in diesem Bereich sind die Menschen in Osteuropa besonders schlecht dran, weil nach der Wende staatlicher Wohnungsbestand in großem Stil in Eigentum umgewandelt wurde. Die Käufer leiden nun unter den explodierenden Hypothekenzinsen und unter den hohen Instandhaltungskosten. Während Singles in der Regel ein Drittel ihres Einkommens für die Wohnung ausgeben, sind es bei Familien, die unter der Armutsgrenze leben, bis zu sechzig Prozent. Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, finden in Europa noch immer extrem unterschiedliche Lebensbedingungen vor. Während in Belgien und den Niederlanden jeder Bedürftige staatliche Unterstützung erhält, sind vor allem in Osteuropa die sozialen Hilfsangebote unzureichend. Auch hier liegt wieder einmal nur Deutschland im Mittelfeld. Bei einer Frage aber sind sich alle Europäer weitgehend einig: Für die Zukunft erwarten sie, dass sich ihre Lebenssituation verschlechtern wird.