Ich, du und Erdbeerfelder

Simone Aughterlony setzt in ihrem Stück „bare back lying“ im HAU 2 auf Lüge und Verführungskunst, bis man zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr trennen kann. Jeder Satz ist doppelbödig, jede Identität gerät ins Wanken

„Weiß du was? Ich habe irgendwie das Gefühl, das ich die Einzige bin, die hier das alles zusammenhält“, sagt irgendwann Bibiana Beglau inmitten einer anstrengenden Gruppentanzeinlage. Der lässig dahingeworfene Satz ist doppelbödig, wie alles, was in Simone Aughterlonys Stück „bare back lying“ gesagt, getan oder angedeutet wird. Erstmal wirft er die Frage auf, ob hier jemand überhaupt die Absicht hatte, etwas zusammenzuhalten. Und dann ist es gerade Bibiana Beglaus unnachahmlich körperliches, fiebriges Spiel, mit dem sie tatsächlich einer Inszenierung, die stets in der Schwerelosigkeit dahinzuschweben droht, einen Schwerpunkt verleiht.

Mit Thomas Wodianka, Nicholas Lloyd und der Choreografin Simone Aughterlony, die in ihren Stücken selbst auftritt, stehen Beglau ebenfalls Darsteller zur Seite, denen es gelingt, die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken. Dabei ist „bare back lying“, eine Koproduktion von Productiehuis Rotterdam, dem Theater Gessenerallee Zürich und dem Hebbbel am Ufer Berlin, ein Erkundungsflug durch die nebligen Schichten der Lüge, die das Erzählen bedingt. Und weil die Liebesgeschichte bekanntermaßen den Prototyp einer Erzählung darstellt, der sich der Wahrheitsfindung entzieht, geht es an diesem Abend um den Verlauf einer Liebesbeziehung, vom Moment der Verführung bis zur Trennung. Oder sind es doch mehrere?

Verschiedene Geschichten werden erzählt. Schwer, sich einen Reim daraus zu machen. Wer hat wen verführt? Wem war der Sex schnuppe? Hat er sich wirklich nur um das Auto gegrämt, das ins Wasser fiel, als alles anfing? Und wie lange hat es gedauert, sechs Monate oder Jahre? Selbst wenn die vier Darsteller auf der Bühne ihr Wechselspiel von Annäherung und Entfernung noch so eindeutig und allgemein verständlich vollführen – was sie denken, sieht man nicht. Auch die Hirnströme, die ein Elektroenzephalogramm bisweilen auf eine Leinwand im Hintergrund der Bühne projiziert, helfen nicht weiter: es könnte auch eine Herzlinie sein.

Simone Aughterlony lässt das Publikum absichtlich im Ungewissen darüber, ob und wann sie den Verstand anspricht oder aber das spontane, emotionale Verständnis, das im Augenblick erlischt. Und wie sie beide Bereiche vermengt, so greift sie auch auf verschiedene Medien zurück, um die Gleichzeitigkeit der möglichen Erzählvarianten aufscheinen zu lassen: Tanz, Wort, Musik, Filmsequenzen überlappen sich andauernd, damit jede Aussage in einer anderen Konstellation zur Lüge werden kann. Die Lüge als unausweichliches Mittel der Verführung, und diese wiederum als die Kunst, die das Verhältnis zwischen Publikum und Darstellern bestimmt.

Was geschieht, wenn das Theater jeden Wahrheitsanspruch ad absurdum führt, dafür braucht „bare back lying“ keinen Schwall aus Worten. Auch die Reflexion von Reflexionen, wie sie sonst als Spiegelfechterei oft zu besichtigen ist, sucht man hier vergebens. Präziser Wortwitz und Mut zur Selbstironie reichen dem Quartett Beglau, Wodianka, Aughterlony und Lloyd völlig aus: Wenn etwa alle durch den Raum irren, verzweifelt auf der Suche nach Metaphern für sich selbst und die anderen, und sich Gleichnisse um die Ohren werfen, die vom Kompliment zum Wahnwitz eskalieren. Sommer, spanische Künste, Gott, mein Vater, Erdbeerfeld. Was hat die Fantasie nicht alles für Titel auf Vorrat, um dem Gegenstand der Begierde zu schmeicheln – oder auch gegen ihn zu sticheln.

Ungemein witzig, auch hintergründig ernst schraubt sich das Spiel zum Dreisatz hinauf: „Bibi is Al Pacino, Bibi is salad without dressing, Bibi is Bibi.“ So gerät in dem Stück, das jede Behauptung auf den Prüfstand stellt, selbst diese Identität ins Wanken. Allerdings so, dass man darüber lachen kann.

AURELIANA SORRENTO