Premier erklärt Vermissten für ermordet

Laut Thailands Premier Thaksin töteten Sicherheitskräfte prominenten muslimischen Menschenrechtsanwalt

BANGKOK taz ■ Einen Tag nach dem fast vollständigen Freispruch für fünf angeklagte Polizisten hat sich Thailands Premierminister Thaksin Shinawatra im Fall des seit März 2004 vermissten muslimischen Menschenrechtsanwalts Somchai Neelaphaijit gestern auf erstaunliche Weise geäußert: „Ich weiß, dass Somchai tot ist und dass mehr als vier Repräsentanten offizieller Stellen darin verwickelt sind.“

Der seit 2004 verschleppte Fall soll laut Thaksin neu aufgerollt werden. Am Donnerstag hatte ein Gericht in Bangkok vier in die mutmaßliche Entführung Somchais verwickelte Polizeioffiziere aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nur ein Polizeimajor wurde wegen illegaler Festnahme zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Augenzeugen hatten ihn beobachtet, wie er den sich heftig wehrenden Juristen in ein Auto gezerrt hatte.

Angkhana Neelaphajit, die Frau des Verschwundenen, sowie internationale Prozessbeobachter zeigten sich über das Urteil enttäuscht, da es bis heute keine offiziellen Erkenntnisse darüber gibt, was tatsächlich mit dem prominenten Anwalt geschah. „Das zu klären, ist die Verantwortung der Regierung“, sagte Angkhana am Donnerstag nach dem Urteil. Aus Geheimdienstkreisen waren immer wieder vage Informationen durchgesickert, Somchai sei kurz nach seiner Entführung ermordet und seine Leiche beseitigt worden. Die fehlende Leiche ermöglichte, den Fall immer wieder zu verschleppen.

Seit ihrem Auftritt vor der Genfer UN-Menschenrechtskommission im vergangenen Jahre forderte Somchais Frau vergeblich, die Polizei von dem Fall abzuziehen und ihn an die „Abteilung für Spezielle Ermittlungen“ des Justizministeriums zu übergeben. Man könne nichts erwarten, wenn die Polizei ein Verbrechen untersuche, in das sie selbst verstrickt sei.

Der damals 53-jährige Somchai war Vorsitzender des muslimischen Anwaltsvereins und Vizedirektor der nationalen Juristenvereinigung. Er hatte muslimische Klienten aus dem Süden verteidigt, denen die Autoritäten vorwarfen, mit Separatisten oder dem regionalen Terrornetzwerk Jemaah Islamiyah zu konspirieren. Er prangerte Folterungen im Polizeigewahrsam an und forderte die Regierung auf, das im Januar 2004 in drei Südprovinzen verhängte Kriegsrecht aufzuheben. Es wird deshalb gemutmaßt, höhere Polizeikreise könnten aus diesem Grund seine Beseitigung angeordnet haben. Nach dem Urteil vom Donnerstag dürfte sich die muslimische Minderheit darin bestätigt sehen, dass vom Staat kaum Gerechtigkeit zu erwarten ist.

Dies dürfte Thaksin verschärft unter Druck setzen. Terrorexperten sprechen zwar von einem lokal begrenzten Konflikt, bei dem bislang keine Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen auszumachen sind. Allerdings würden die Motive hinter der seit zwei Jahren andauernden Gewaltwelle immer komplexer. Das gerade erst um weitere drei Monate verlängerte Notstandsgesetz, das Thaksin uneingeschränkte Vollmachten gibt, fachte den Unmut der Muslime gegenüber der Regierung nur noch weiter an. Seit Januar 2004 starben in dem Konflikt mehr als 1.000 Menschen. NICOLA GLASS