Das Kollektiv fährt mit

Seiner Installationen wegen ist Olafur Eliasson einer der bekanntesten Künstler der Gegenwart. Für die Art-Car-Reihe von BMW soll er nun den Rennwagen H2R gestalten. Dabei interessiert er sich vor allem für die sozialen Kontexte von Design. Ein Porträt

„Warum sehen heute alle Autos gleich aus – trotz gewaltiger Designabteilungen?“

von SEBASTIAN FRENZEL

Erster Eindruck: Factory-Atmosphäre. Eine weite Halle, vorne steht ein großer Werktisch auf Rollen, daneben ein Metallgestell in Form eines überdimensionalen Kaleidoskops, von der Decke baumelt eine Kugel, deren Oberfläche mit Spiegeln versehen ist. Ein junger Mann mit i-Pod-Knöpfen im Ohr kommt herein und steuert auf die offene Küche zur Rechten zu. Espressomaschinen-Seufzer und das Gequietsche einer Saftpresse überlagern sich, von der Empore über dem Eingang mischt sich ein Coldplay-Stück dazu. An den Wänden Regale mit Dutzenden Modellen, Glasplatten, Werkzeug. Dazwischen ein hoher Kaktus mit der aufgedruckten Adresse „ZKM Karlsruhe“, eine Golfausrüstung, ein Bobby Car. Aus Arbeitsnischen blicken Leute auf und sagen freundlich Hallo.

Olafur Eliassons Atelier liegt in einer alten Lagerhalle direkt neben dem Hamburger Bahnhof, deren unscheinbares Äußeres keinen stärkeren Kontrast zu dem quirligem Treiben drinnen abgeben könnte. Seit über drei Jahren arbeitet er hier, nebenan haben Thomas Demand und Tacita Dean ihre Ateliers. Zwischen den Bahnschneisen der Nordtrasse und dem Verkehr der Invalidenstraße öffnet sich ein Paralleluniversum, dessen Fülle man auf den ersten Blick kaum zu überblicken mag.

Kräftiger Handschlag zur Begrüßung. Eliasson trägt Trekking-Schuhe, Dreitagebart und rahmenlose Brille, sein Atelier nennt er „Labor“. Was durchaus treffend ist: Rund 20 Leute arbeiten hier für und mit Eliasson; es sind junge Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten und Kunststudenten, verteilt auf 400 Quadratmeter Fläche. Über eine schmale Treppe gelangt man in den Keller. Hier sind eine Metall- und eine Holzwerkstatt untergebracht, ganz hinten schließlich gibt es einen abgeschotteten Raum, eine Art White Cube für Lichtexperimente. Über ein kleines Display gibt Eliasson Menüschritte ein, woraufhin sich das trübe Grau des Raums in ein gleißendes Weiß zu wandeln beginnt. Spektakulär sieht das aus – Eliasson kommentiert es mit nüchternen Bemerkungen über Wellenlängen.

Seine Arbeiten mit Licht und Farbe haben ihn berühmt gemacht, angefangen vielleicht mit den Aktionen der 1990er-Jahre, als Eliasson in verschiedenen europäischen Städten die Flüsse grün färbte. Es folgten Ausstellungen und Biennalen von Stockholm bis New York, von Venedig bis Rotterdam, Tokio bis Mailand, die Eliasson zu einem der gefragtesten Künstler der Gegenwart gemacht haben. Nicht zu vergessen das spektakuläre „Weather Project“ in London, bei dem die Besucher, in Nebel gehüllt, eine riesige Sonne an der Ausstellungsdecke erblickten.

Über zwei Millionen Menschen lockte diese Arbeit in die Tate Modern und brachte Eliassons Arbeit – ein hochkultureller Reflex auf diese Zahl? – den Vorwurf des Kitsches ein. Doch wenn man in dem Atelier des 1967 in Kopenhagen geborenen Künstlers steht und all die optischen Instrumente und Apparaturen sieht, Maschinenlärm und das Geklapper von Computertasten hört, dann wird einem schnell klar, dass Eliasson nicht auf neoromantische Naturerlebnisse zielt. Peter Weibel hat das anlässlich einer Ausstellung im ZKM Karlsruhe so beschrieben, dass Eliassons weniger Natur als Naturwissenschaft in den Fokus nimmt.

Heute soll es aber nicht um elementare Naturstoffe gehen, sondern um Autos. Genauer gesagt, um ein ganz bestimmtes Auto: das H2R von BMW, einen Rennwagen, den Olafur Eliasson im Rahmen der BMW-Art-Car-Serie gestalten wird. Berühmte Künstler wie Warhol, Rauschenberg oder David Hockney haben das vor ihm gemacht – Prinzip der Art-Car-Reihe ist es, ein aktuelles BMW-Automobil jeweils von einem der bedeutendsten Künstler der Zeit designen zu lassen. Die Idee stammt von dem Rennfahrer Hervé Poulain, der 1975 seinen Rennwagen von Alexander Calder bemalen ließ. Bei BMW scheint man damals schnell begriffen zu haben, dass Kunst auf der Motorhaube prestigeträchtiger sein kann als ein kurzfristig profitabler Werbezug – und in der Pop-Art war das Massenprodukt Auto ohnehin zu einem favorisierten Objekt avanciert.

Fünfzehn Art Cars hat es bisher gegeben. Zunächst waren es Rennwagen, die beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans starteten, später wurde das Spektrum um Serienfahrzeuge erweitert. Und wenn auch ein Frank Stella seine Arbeit bloß „als sympathisches Dekor“ verstanden wissen wollte – bei einer derart prominenten Künstlerriege ist der Fetischfaktor der Automobile garantiert. Jenny Holzer, die bislang letzte Künstlerin der Art-Car-Reihe, setzte ihrem Wagen 1999 dann auch einen flehenden Schriftzug auf die Motorhaube: Protect me from what I want. Zu sehen ist ihr Werk wie die anderen Art Cars in Ausstellungen rund um die Welt, seit diesem Wochenende etwa werden Teile der Sammlung im Kasseler Kunstverein gezeigt.

Die Besonderheit des H2R nun ist sein ökobewusster Wasserstoffantrieb. Dass Eliasson als Gestalter des Wagens ausgewählt wurde, liegt da durchaus nahe. Doch was hat ihn, der bislang eher mit Licht, Wärme oder Geruchsstoffen gearbeitet hat, dazu bewogen, das Design eines Auto zu überarbeiten? Eliasson beäugt erst einmal neugierig das Interviewmikrofon, bevor er über das Art Car zu sprechen beginnt. „Was mich an dem Projekt interessiert hat, waren zwei Fragen. Das eine ist die Wasserstofftechnologie und die Infragestellung konventioneller Brennstoffe“, führt er aus. „Das andere ist die förmliche Auseinandersetzung. Mich interessiert die Frage, wieso Autos so aussehen, wie sie aussehen. Und vor allem, wieso heute die Autos der verschiedenen Hersteller trotz gewaltiger Designabteilungen alle zunehmend gleich aussehen.“

Olafur Eliasson spricht langsam und leise, er strahlt dabei die Konzentration eines neugierigen Kindes und den Scharfsinn eines Physikprofessors aus. Seine Sätze kommen meist in Form von Fragen, was ganz passend scheint für seine Kunst. Denn bei allem sinnlichen Appeal erforschen seine Arbeiten gerade die kulturellen Grundlagen dessen, was wir sehen und erfahren. Und wie ein großes Fragezeichen liegt nun auch das Rennfahrzeug in einer Ecke des Ateliers – oder vielmehr das, was Eliasson von ihm übrig gelassen hat, seit der Wagen im Sommer in sein Atelier überführt wurde. Viel ist das nicht, Eliasson hat Türen, Dach und Motorhaube entfernt, nur an den Seiten sind die Reifen noch von ein wenig Karosserie verkleidet. Das Innenleben des Wagens liegt offen, als habe Eliasson erst einmal alles Gegebene sezieren wollen, ehe er es neu zusammensetzt.

Doch zurück zur Frage: Warum also sehen Autos heute zunehmend gleich aus? „Vielleicht“, sagt Eliasson, „liegt es daran, dass wir zwar noch auf Formen und Gestaltungen achten, aber sich die Formen zunehmend von ihrem sozialen Kontext gelöst haben. Form hat ihre Hintergründe verloren, sie ist heute weitgehend autonom und inhaltslos.“ Bei dem Art Car nun kommt für ihn allein durch die Tatsache, dass es ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug ist, eine gesellschaftliche, also politische Dimension hinein.

Was Eliasson der heutigen Inhaltslosigkeit des Designs entgegensetzen will, das liefert er in einem Exkurs über den Zusammenhang von Gesellschaft und Mobilität, den ein starker, skandinavisch-sozialdemokratischer Geist zu durchziehen scheint. „Das klassische Modell von Kollektivität und Mobilität ist gescheitert. Okay, es gibt im innerstädtischen Bereich den öffentlichen Nahverkehr, der mal mehr, mal weniger funktioniert. Aber es gibt sicher kein Gefühl der Kollektivität, das den Bezugsrahmen liefern könnte.“ Mit einem Bekannten, erzählt Eliasson, habe er neulich zusammengesessen und über diese Frage nachgedacht. Der Bekannte sei schließlich auf die Idee gekommen, dass der Autoverkehr in einer Art Waggonsystem ablaufen könnte, bei dem man sich mit seinem Auto in eine Schlange einklinkt und dann mittreibt. Es gäbe dann keine Staus, alles wäre einfach nur eine fortlaufende Bewegung, man müsste nicht lenken und könnte stattdessen etwas Sinnvolles machen.

Klingt nach einer smarten Spinnerei, auch ein wenig bevormundend. Doch Eliasson liefert gleich nach, um was es ihm dabei geht: „Ich glaube, dass sich die Frage der Kollektivität wieder stellen wird und auch in der Infrastruktur umsetzen wird. Früher, in den klassischen Utopien der Moderne, galt das, was wir gemeinsam haben, als Grundlage für Kollektivität und Demokratie. Aber vielleicht könnte es heute eine Form von Kollektivität im Rahmen des Individualismus geben.“ Für Eliasson liegt darin kein Widerspruch, vielmehr will er bewusst auf die Unterschiede zwischen Menschen setzen, „sodass nicht mehr das Gemeinsame, sondern gerade die Unterschiede zwischen den Menschen gesellschaftliche Verantwortung schaffen könnten“.

Das Individuelle mit der Masse versöhnen, das ist die Herausforderung, der sich Eliasson mit dem Art Car stellen will. Und das ist zugleich eine Herausforderung an ihn als Künstler: Statt ein auratisches Unikat abzuliefern, will er das Auto über das Design in einen sozialen Kontext zurück binden. „Die Frage lautet: Wie bringt man das Auto als überragendes Symbol des Individualismus in Verbindung zu einem Gedanken von Kollektivität? Wie schafft man Verantwortung und eine Idee der Teilnahme an der Gesellschaft über ein individuelles Verfahren? Solche Fragen müssten in der Form des Autos zu sehen sein.“

Bis es so weit ist, dürfte indes noch einige Zeit vergehen. Fast bescheiden betont Eliasson am Ende des Gesprächs, dass er zur Gestaltung des Wagens bisher mehr Fragen im Kopf habe als Antworten und er überhaupt noch nicht genau wisse, wie er den Wagen wieder zusammenbauen werde. Im Frühjahr will er erste Entwürfe seines Art Car vorstellen, Anfang 2007 dann soll das Fahrzeug ausgestellt werden. Die Schweißer, Ingenieure und Eliasson selbst werden die kommenden Monate noch einiges zu tun haben in dem beeindruckenden individuellen Kollektivismus ihres Labors.