Kenias Hungernde auf dem Trockenen

Im dürregeplagten Osten Kenias waren die Vorboten des Hungers schon vor Monaten zu erkennen. Aber erst jetzt schlug die Regierung Alarm. Die Bauern des Kamba-Volkes warten seit fünf Jahren auf Regen – und auf alternative Zukunftsperspektiven

AUS IKUTHA ILONA EVELEENS

Mit einem Seufzer der Erleichterung läst Naomi Musingila den Kanister mit Wasser von ihrem Rücken gleiten. „Die sieben Kilometer zum Fluss sind leicht, aber der Rückweg bergauf mit 20 Litern Wasser ist schwer“, erklärt die junge Frau. Sie streckt den Rücken, nimmt eine Frucht vom Affenbrotbaum und bricht sie auf. Sie knabbert an den salzigen Kernen. „Wir essen nur einmal am Tag“, sagt sie. „Heute mache ich Suppe aus diesen Kernen.“

Die Früchte des Affenbrotbaums sind, wie der Name schon sagt, beliebt bei Affen. Aber in Zeiten von Dürre und Hunger sind sie auch Nahrung für Menschen. In Ikutha im Osten Kenias hat es seit fünf Jahren nicht geregnet. Das Gebiet liegt in Kenias „Eastern Province“, wo vor allem das Volk der Kamba lebt. Die Bevölkerung dort schlägt schon seit langem Alarm, aber erst als Kenias Regierungsmitglieder in der Hauptstadt Nairobi die ersten Fernsehbilder von Toten in ihren Wohnzimmern empfingen, wurde die Lage zur nationalen Katastrophe erklärt.

Der größte Teil der Ostseite Afrikas ist gegenwärtig von Dürre betroffen. Mehr als 30 Millionen Menschen droht Hunger. In Kenia rechnen UN-Hilfswerke mit 2,5 Millionen Betroffenen. „Dürre kommt hier öfter vor, aber so schlimm wie jetzt haben wir es seit 1996 nicht erlebt“, erinnert sich in Ikutha Nicolas Musingila. Er ist Bauer und Schwiegervater von Naomi. „Warum gräbt die Regierung uns keine Wasserbrunnen? Mit Wasser wären unsere Probleme gelöst.“

Diesen Hinweis hört man oft auf der Yatta-Hochfläche, wo Ikutha liegt. Aber die Hoffnung auf Brunnen ist trügerisch. Das Grundwasser ist zu salzig. Es existieren ein paar Flüsse, aber die führen nur bei Regen Wasser und sind schon zwei Tagen danach wieder trocken. Die Erde ist rot und fruchtbar, aber vollkommen abhängig vom Regenwasser, das es derzeit nicht gibt.

„Dieses Gebiet ist besser geeignet für Viehzucht“, erklärt der Helfer Humphrey Kimani. „Die Bevölkerung lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft und macht nur nebenbei Viehzucht, aber es sollte andersrum sein.“ Kimani ist der lokale Leiter der Hilfsorganisation Adra (Adventist Relief Agency), die schon seit einiger Zeit die Bauern zu überzeugen versucht, ihre Wirtschaft zu verändern. Eine erste Gruppe Bauern hat schon einen Kurs in Viehzucht gemacht und wartet auf den zweiten Kurs über die Verwaltung von Grasland, damit es nicht überweidet wird wie im Norden von Kenia. „Die Dürre wird immer wieder kommen. Damit müssen wir leben. Strukturelle Änderungen sind nötig“, meint Humphrey Kimani. Er wünscht sich Unterstützung durch die Regierung: „Wir teilen unsere Informationen und Ideen mit den örtlichen Beamten, aber sie erreichen die Regierung nicht. Oder die Minister sind zu beschäftigt mit Politik, statt ihre Ministerien zu führen.“

In Kenia reagierte jeder zu spät auf die Vorzeichen des Hungers. Die Minister waren in den letzten Monaten mit dem Streit um die letztendlich gescheiterte neue Verfassung beschäftigt, nicht mit der Not auf dem Land. Jetzt erst kauft die Regierung notleidenden Hirten Vieh ab – nachdem bereits tausende Tiere gestorben sind. Wider besseres Wissen waren Bauern und Hirten darauf angewiesen, auf Regen zu hoffen. Von den 3,5 Millionen Kambas bekommen 20 Prozent Nahrungsmittelhilfe – 50 Prozent würden welche brauchen.

Die Verteilung von Essen geht Hand in Hand mit Korruption. In manchen kleinen Geschäften liegen Essenspakete mit der Aufschrift „Nothilfe. Nicht zum Verkauf“. Laster mit Maismehl, Bohnen und Öl kommen halb voll am Ort der Verteilung an. Dorfchefs, verantwortlich für die Verteilung, geben Nahrung an Familie und Freunde zuerst. „Und wenn man schon Essen bekommt, fordert der Dorfchef oft einen Teil für einen seiner Freunde ab“, erzählt Kamate Ngui aus eigener Erfahrung. Sein Acker steht leer und seine Getreidelagerstelle ist zerfallen. Er sieht keinen Grund, sie zu reparieren.

Kamate Nguis Geschichte ist typisch für die Abwärtsspirale, die in die Hungersnot führt. Am Anfang der Dürre vor sechs Jahren besaß er sieben Kühe und dreißig Ziegen. Jetzt hat er nur noch zwei respektive vier. „Wir mussten verkaufen, weil wir Geld brauchten für Nahrungsmittel, Schulgeld und Medizin“, erklärt er. Jüngere Kinder in seiner Familie gehen in die Grundschule, die seit einigen Jahren gratis ist und wo eine Mahlzeit verteilt wird. Aber die älteren Kinder können nicht zur Oberschule gehen, denn die kostet Geld. „Ich wünsche mir für meine Kinder ein besseres Leben“, sagt Kamate Ngui, „aber wenn sie nicht in die Schule gehen, werden sie nie weiterkommen.“