Seltsame Rituale im Harz

FILM In „MansFeld“ erzählt Mario Schneider vom Leben dreier Jungen. Schön, wie sich dabei das Regionale aufs Universale hin öffnet

Am östlichen Abhang des Harzes liegen die beiden Ortschaften Ahlsdorf und Hergisdorf. Sie gehören zum Mansfelder Land, einer alten Bergbauregion, in der heute nicht mehr geschürft wird. In dieser Gegend hat sich ein Brauch erhalten: Der Winter wird zu Pfingsten mit Peitschenknallen vertrieben. Und die Jungen, die müssen das Knallen lernen. Zumindest jene, deren Vater schon geknallt hat.

Für dieses verantwortungsvolle Amt werden aufwendige Kostüme hergestellt, schon viele Wochen vorher wird der weiße Hut mit Wollknäueln geschmückt. So viel Ehre! So viel Verantwortung!

Der Dokumentarfilmer Mario Schneider erzählt in „MansFeld“ von drei Jungen aus dieser Gegend. Sie sind alle im Grundschulalter, und das Frühlingsfest ist eines, in dem sich ankündigt, dass für die Buben die unbeschwerte Zeit nicht ewig dauern wird. Auf sie kommt ein Leben zu, das zu meistern sein wird. Im Grunde schauen wir, wenn wir ihnen bei ihren täglichen Wegen und Aufgaben zusehen, immer schon ein wenig in die Zukunft. Wie gut sind sie gerüstet?

Ein intimes Porträt

Tommy, dessen Mutter sich intensiv um seine Lernfortschritte kümmert, wird sich wohl gut auf die Anforderungen des Lebens einstellen können. Er liest auch komplizierte Texte laut vor, und wenn er vor einem Schaltkreis oder anderen technischen Geräten sitzt, dann betont Mario Schneider diesen Moment durch Musik ganz intensiv. Paul wiederum ist einer, der sich in der Schule schwertut und der schon ein bisschen Übergewicht hat. Wir sehen ihn bei der Schlachtung einer großen Sau, wie er vorsichtig versucht, die Haare von dem Kadaver zu schaben. Und dann ist da noch Sebastian, der zwischen den beiden anderen Jungen zu stehen scheint ohne große Sorgen. Sebastian sehen wir sogar abends im Bett mit seinem Bruder Kevin, und wir sehen ihn dann sogar schlafen. So intim ist dieses Porträt, das Mario Schneider geschaffen hat.

Er kennt sich aus in der Region, er stammt von dort, und er hat sich schon in früheren Filmen damit beschäftigt. Mit „MansFeld“ schafft er nun das Kunststück, das Regionale auf das Universale hin zu öffnen. Die sehr spezifischen Beobachtungen weiten sich immer wieder auf einen Horizont allgemeiner Menschlichkeit, was vor allem die Musik stark betont: Bach, Vivaldi, Strawinsky, Holst – das sind teils fast schon zum Klischee gewordene Stücke, die hier aber ein reflexives Moment bekommen. Sie verweisen darauf, dass das eine Leben (das gewohnte, tagtägliche) und das andere (das unfassbar geheimnisvolle) ganz nah beisammenliegen.

In dem Ritual zu Pfingsten kommt das alles zusammen, ein höchst seltsamer Brauch, von dem der Regisseur auch noch tolles, altes Filmmaterial aufgespürt hat. Dass Menschen sich in unseren Tagen und mitten in Deutschland noch zu solch „heidnischen“ Festen zusammenfinden und es ganz normal finden, wenn ihresgleichen sich ekstatisch im Schlamm wälzt (man spricht auch von einem „Drecksaufest“), das allein würde „MansFeld“ schon sehr interessant machen.

In Verbindung mit den drei Jungen und deren ganz normaler Lebenswelt aber wird daraus eine große Synthese, in der sich nebenbei auch eine dokumentarische Tradition der untergegangenen DDR (von den Kindern von Golzow über die Halle-Neustadt-Generationen bei Thomas Heise) sehr produktiv fortsetzt.

BERT REBHANDL

■ „MansFeld“ in Babylon Mitte, fsk, Hackesche Höfe