Neue britische Studie zur Euthanasie

In Großbritannien sind im vergangenen Jahr fast 3.000 Menschen durch ärztliche Maßnahmen gestorben – und in 2.000 Fällen nicht auf Wunsch des Patienten. Das ist strafbar. Religionsgemeinschaften warnen vor einer Änderung des Gesetzes

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Eine Studie hat die Debatte um Euthanasie in Großbritannien erneut entfacht. Demnach sind im vorigen Jahr fast 3.000 Menschen aufgrund ärztlicher Maßnahmen gestorben. In knapp tausend Fällen handelte es sich um freiwillige Euthanasie, also eine Tötung auf Verlangen des Patienten. In den übrigen 2.000 Fällen beendeten die Ärzte das Leben ohne den ausdrücklichen Wunsch des Patienten. Diese Zahlen sind niedriger als in anderen europäischen Ländern.

Die Untersuchung von Professor Clive Seale, die im Palliative Medicine Journal veröffentlicht wurde, basiert auf der anonymen Befragung von 857 Ärzten. In keinem Fall stieß Seale auf einen Selbstmord mit ärztlicher Hilfe. Das wäre in Großbritannien auch illegal. Das ist Euthanasie allerdings auch. Legal ist nur die Einstellung oder Verweigerung ärztlicher Behandlung. Das führte 2005 zum Tod von fast 180.000 Menschen – rund 30 Prozent aller Todesfälle.

Im vergangenen Juli gab es einen Präzedenzfall zu diesem Thema. Der 45-jährige Leslie Burke, der unter einer unheilbaren Hirnkrankheit litt, hatte 2004 vor Gericht durchgesetzt, dass Ärzte ihn bis zum Schluss künstlich ernähren müssen. In der Berufung, die die Ärztekammer eingelegt hatte, entschied das Gericht, dass lebenserhaltende Maßnahmen nur so lange vorgeschrieben sind, wie der Patient sie ausdrücklich verlangt. Ist er dazu nicht mehr in der Lage, können Ärzte die künstliche Ernährung aussetzen.

In Großbritannien geht immer noch das Shipman-Gespenst um. Professor Seale glaubt, dass die praktischen Ärzte Angst haben, etwas zu tun, das ihnen wegen Harold Shipman Ärger einbringen kann. Der praktische Arzt aus Nottingham, der sich später im Gefängnis umbrachte, wurde vor sechs Jahren überführt, über einen Zeitraum von 30 Jahren rund 300 Patienten getötet zu haben. Er ermordete seine Opfer, fast ausnahmslos ältere Frauen, mit einer tödlichen Dosis Morphium.

Mancher Arzt befürchtet, bei den Behörden Misstrauen zu erwecken, wenn er zu großzügige Mengen des schmerzlindernden Opiats verschreibt, meint Seale. Allerdings ist voriges Jahr ein Drittel aller verstorbenen Patienten, also knapp 200.000 Menschen, bis zum Tod mit Morphium behandelt worden.

Vertreter der sechs größten Religionsgemeinschaften in Großbritannien verfassten im Oktober einen Brief, in dem sie die Unterhaus-Abgeordneten aufforderten, ihre Finger von einer Änderung des Euthanasiegesetzes zu lassen. Sie warnten, dass das „so genannte Recht zu sterben“ schnell zu einer „Pflicht zu sterben“ werden könnte, wenn die Alten und Kranken das Gefühl hätten, zu einer Last für ihre Angehörigen zu werden.

Baronin Mary Warnock, die im Oberhaus sitzt, sagte dagegen: „Was ist denn so furchtbar daran, wenn man keine Bürde für seine Angehörigen sein will? In einem anderen Zusammenhang gilt es als heroisch, sich für seine Familie zu opfern. Ich schäme mich nicht, zu sagen, dass manches Leben wertvoller als anderes ist.“