Kein Ende vor der Rente

ATOM II Statt Ausstieg Laufzeitverlängerung: Schwedens AKWs sollen nun bis zu 60 Jahre lang laufen – dabei gelten sie bereits als besonders störanfällig. Dafür verabschiedet sich Vattenfall von Neubauplänen

STOCKHOLM | 60 Jahre ist kein Alter für Atomreaktoren. Meint Schwedens Staatskonzern Vattenfall – und peilt statt der bisherigen Laufzeit von 50 Jahren für die meisten seiner schwedischen Reaktoren nun eine Betriebsdauer von 60 Jahren an. Man halte jetzt eine derart verlängerte Betriebsdauer für „kein Problem“, erklärte der für Atomkraft zuständige Vattenfall-Vorstand, Torbjörn Wahlborg. Sogar 70 oder 80 Jahre wären möglich, „wenn sich das rechnet“.

Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt sagte, eine solche Laufzeitverlängerung decke sich mit der energiepolitischen Linie der Regierung. Die Sozialdemokraten stimmten zu, Kritik kam nur von der grünen „Miljöpartiet“: Vattenfall sei ein „verzweifeltes Energieunternehmen“, das neben milliardenschweren Fehlinvestitionen in fossile Energien nun „auf alter unsicherer Atomkraft mit dauernden Sicherheitsproblemen sitzt“.

Mit 60 Jahren Betriebsdauer hätten die meisten der sieben schwedischen Reaktoren derzeit erst ihre halbe Lebenszeit hinter sich. Ans Netz gegangen zwischen 1975 und 1985, wurden sie ursprünglich für eine Betriebsdauer von 25 Jahren konstruiert. Sie gehören jetzt schon mit zu Europas ältesten und potenziell gefährlichsten Meilern, wie ein EU-Stresstest im vergangenen Jahr konstatierte. Sie liegen alle am Meer, aus dem sie ihr Kühlwasser beziehen. Deshalb sind sie laut Experten besonders gefährdet bei Überschwemmungen, Tsunamis und Erdbeben. Außerdem würde keines den „Stress“ eines extremen Eissturms verkraften, der die Stromversorgung unterbricht.

Wie unzureichend die Reaktoren gegen Sabotage und Terroranschläge geschützt sind, hatte erst am Dienstag ein von Greenpeace veranstalteter „Stresstest“ erwiesen. Unbehindert konnte da ein Aktivist der Umweltschutzorganisation das Vattenfall-AKW Ringhals mit einem Paragleiter überfliegen und seine Ladung auf das Dach des Reaktorgebäudes werfen. Es handelte sich aber zum Glück nicht um Bomben, sondern um Ballons in Form von Schweinen.

Vattenfalls Argument für längere Laufzeiten sind die Milliarden Euro an leistungssteigernden Investitionen: 2,5 Milliarden Euro waren es in den letzten Jahren, weitere 2 Milliarden sind für die kommenden vier Jahre eingeplant. Mit den jetzigen Plänen scheint Vattenfall sich aber erst einmal von allen AKW-Neubauplänen zu verabschieden. Noch im vergangenen Sommer hatte der Konzern bei der Genehmigungsbehörde formal einen Neubauantrag gestellt. Das sei jetzt nicht mehr aktuell, bestätigte Wahlborg. Schwedens Regierung hat beschlossen, dass mögliche Reaktorneubauten nur an Stelle stillgelegter Altreaktoren errichtet werden dürften. REINHARD WOLFF